Die lieben Nachbarn

Genehmigung – Immer öfter sind Lagerneu- und -erweiterungsbauten für gefährliche Güter massiven Protesten durch Anwohner ausgesetzt. Dies belegen einige aktuelle Beispiele.

(sk) Der Schlussstrich unter ein ambitioniertes Projekt wurde im Frühjahr gezogen: Nach einer fast zwei Jahre währenden Genehmigungsphase gab der Chemielogistiker Talke seine Pläne für den Bau eines Gefahrstofflagers im Duisburger Hafen auf. Gründe für den Rückzug des Bauantrags möchte das mit Hauptsitz nahe Köln angesiedelte Unternehmen nicht nennen und sich auch sonst nicht weiter äußern. Es war wohl ein Mix aus nicht abreißenden Anwohnerprotesten, gebündelt in der Bürgerinitiative "Kein Giftstofflager in Rheinhausen", und immer neuen Genehmigungsauflagen durch die Behörden.

Nach einer öffentlichen Anhörung Ende 2014 als wichtiger Stufe des Genehmigungsverfahrens, bei der sich Talke einer Vielzahl von Nachfragen und Anträgen von Bürgern sowie des von einem Anwalt für Umweltrecht unterstützten Umweltverbands BUND konfrontiert sah, musste das Logistikunternehmen in vielen Punkten nachbessern (Immissionsschutz, Wasserrecht, Anlagensicherheit). Ein weiter Erörterungstermin stand im Raum. Darüber, ob und wann Talke geänderte bzw. ergänzende Unterlagen bei der für die Genehmigung zuständigen Bezirksregierung Düsseldorf einreichte, gibt es widersprüchliche Aussagen.

"Knackpunkte" in dem Verfahren waren offenbar vor allem das umfassende Sicherheitskonzept gemäß 12. Bundes-Immissionsschutzverordnung (Störfall-Verordnung) – der geplante Standort wäre hierbei unter die erweiterten Pflichten gefallen – und zu geringe Abstände zur nördlich gelegenen Wohnbebauung, einer Kindertagesstätte, einem Supermarkt sowie zum Bahnhof Rheinhausen-Ost. Abstände zu solchen Schutzobjekten in der Umgebung sind etwa in den "Empfehlungen für Abstände zwischen Betriebsbereichen nach der Störfall-Verordnung und schutzbedürftigen Gebieten im Rahmen der Bauleitplanung" der Kommission für Anlagensicherheit (KAS) detailliert aufgeführt (siehe auch Info-Kasten). Zudem hätte wohl auch die Stadt Duisburg, die an dem Genehmigungsverfahren u. a. mit Stellungnahmen des Bau-, Umwelt- und Gesundheitsamtes sowie der Berufsfeuerwehr beteiligt war, das 20-Millionen-­Euro-Projekt noch stoppen können, da dieses im Widerspruch zum neuen Flächennutzungsplan der Stadt gestanden hätte.

Talke wollte im Duisburger Logport?I, auf dem Boden des 1993 stillgelegten und später abgerissenen Krupp-Stahlwerks, in drei Lagerhallen bis zu 27.000 Tonnen Güter lagern, darunter auch entzündliche und giftige Stoffe. Der Standort ist umgeben von anderen Logistikansiedlungen, man weiß die vielen, multimodalen Verkehrsanschlüsse des linksrheinischen Logports zu schätzen. Statt des Gefahrgutlagers – es wäre der 20. Störfallbetrieb in Duisburg gewesen – wird auf dem Gelände nun ein Importlager für Tierbedarf des Unternehmens Fressnapf gebaut.

Bariumchlorid-Halle kurz vor Bau

Mehr Glück im begehrten Logistikstandort Duisburg hatte der Silologistiker Greiwing. Dieser will ebenfalls in Duisburg-Rheinhausen – nur einige hundert Meter weiter südlich des verworfenen Talke-Lagers – ein Gefahrstofflager errichten. Allerdings nutzt Greiwing für den 5,5 Millionen Euro teuren Bau einen bereits bestehenden Firmenstandort, zudem ist die Lagerkapazität mit 1.300 Quadratmeter Fläche bzw. 3.000 Palettenstellplätzen überschaubar. Auf der Halle soll ausschließlich der zwar giftige, aber nicht brennbare Feststoff Bariumchlorid eingelagert und kommissioniert werden. Die Einlagerung soll in Bigbags aus Überseecontainern erfolgen, die per Binnenschiff im benachbarten Duisburg Intermodal Terminal anlanden, wo Greiwing über einen direkten Zugang verfügt. Nur der Abtransport geschieht ausschließlich per Lkw, wobei sich dies auf zwei Fahrten am Tag beschränkt und die Route dem "Positivnetz der Stadt Duisburg" entsprechen werde, so das Unternehmen. Ein Erörterungstermin mit Anwohnern (diesmal solidarisiert in der Bürgerinitiative "Saubere Luft") und den Trägern öffentlicher Belange im März verlief laut Greiwing positiv. "Wir konnten die meisten Bedenken ausräumen", so Geschäftsführer Klaus Beckonert. "Wir gehen beim Bau in einigen Punkten auch freiwillig über die gesetzlichen Anforderungen hinaus." So sei etwa die Löschwasserwanne drei Zentimeter höher als vorgeschrieben. Nach der jüngst erteilten Genehmigung nach Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) und Landesbauordnung soll im Oktober mit dem Bau begonnen werden.

Handelsware offenbar kein Problem

Etwas übersehen haben die Duisburg-Rheinhausener Bürger offenbar das Gefahrstofflager von Yusen Logistics – zumindest ist hier von Protesten nichts bekannt. Das ebenfalls im Logport?I gelegene Lager nahm Ende 2015 den Betrieb auf, die Investition betrug knapp zwei Millionen Euro. Auch hier handelt es sich um die Erweiterung eines bereits bestehenden Standorts, Yusen mit Hauptsitz in Japan betreibt in Duisburg schon länger sein europäisches Logistikzentrum auf einer Fläche von 60.000 Quadratmetern. Allerdings lief wohl auch hier nicht alles reibungslos: denn die neue, 10.000 Quadratmeter große Halle wurde bereits 2014 erbaut, während die Genehmigung für eine Nutzung als Gefahrgutlager noch ausstand.

Die Halle verfügt über 9.000 Palettenstellplätze sowie eine große Umschlag- und Kommissio­nierfläche. Es gibt drei Brandabschnitte, der größte Abschnitt ist durch eine Regalsprinkleranlage mit Schaumzumischung gesichert, die beiden anderen verfügen über eine am Standort einzigartige Leichtschaumlöschanlage: binnen einer Minute steht der Schaum zwei Meter hoch, nach drei Minuten bis zur zwölf Meter hohen Hallendecke, was wiederum spezielle Sicherungsmaßnahmen für das Personal (u. a. Totmannwächter) erforderlich macht.

Eingelagert werden können die Gefahrstofflagerklassen 2B, 3, 4.1B, 5.1B, 6.1C, 6.1D, 8A, 8B, 10, 11, 12 und 13. In der Praxis handelt es sich dabei zumeist um Dispersionen, Harze, Tinten, Druckgaspackungen, Motorenöle und andere Handelsartikel. "Die Stoffe werden bei uns nicht umgefüllt", so Mario ­Cavallucci, Deutschland-Geschäftsführer des japanischen Unternehmens. Er sieht für die Gefahrstofflagerung und -logistik eine steigende Nachfrage.

Rückstaus im Norden

Diesen Bedarf an Lagerflächen sehen auch andere Logistiker, allerdings sind Neubau- und Erweiterungsprojekte inzwischen nicht mehr nur gegenüber der Genehmigungsbehörde immer schwieriger durchzubringen, sondern wie die Beispiele zeigen, auch gegenüber den Anwohnern. So auch in Mienenbüttel südwestlich von Hamburg: in dem an den Ort grenzenden Logistikpark Hamburg hat die Rhenus-Gruppe im Sommer ein 31.000 Quadratmeter großes Distributionszentrum mit 45.000 Palettenstellplätzen eröffnet, das für einen Teilbereich eine Genehmigung zur Lagerung von Gefahrstoffen wie entzündbaren Flüssigkeiten und Aerosolen bekam.

Die Anwohnerproteste konzentrierten sich hier weniger auf die potenzielle Gefährlichkeit der Stoffe, sondern auf vermeintliche Mängel beim Brandschutz und die deutlich gestiegene Verkehrsbelastrung. Ursprünglich war für den vor rund zehn Jahren projektierten Logistikpark eine unterirdische Löschwasserbevorratung vorgesehen, diese ging aber über den von der Gemeinde zu tragenden Grundschutz hinaus. Heute stehen überall auf dem Areal Wassertanks neben den Hallen. "Die Tanks fassen 30 Prozent mehr Wasser als nötig", sagt Jan von Aken vom Immobilienentwickler und Hallenvermieter VGP besorgten Mienenbüttlern. Rhenus sei mit dem eröffneten Gefahrgutlager zudem an eine Löschanlage mit Schaumgeneratoren angeschlossen. Schlechter sieht es mit dem Verkehr aus: Vor der Autobahnausfahrt Rade an der A 1 bilden sich regelmäßig Rückstaus, da der Logistikpark – eigentlich verkehrsgünstig – direkt an der Ausfahrt liegt. Eine wie von Anwohnern geforderte zweite Ausfahrt oder wenigstens einen Kreisverkehr statt der hinter der Ausfahrt bestehenden Ampelanlage wird es vorerst nicht geben.

Zwei Einwohner bei der Anhörung

Das Logistikunternehmen Finsterwalder hat Ende 2015 in Halle (Saale) ein neues Gefahrstofflager eröffnet. Es verfügt über eine Lagerkapazität von 5.750 Tonnen bzw. 13.000 Palettenstellplätzen, die sich auf drei Brandabschnitte verteilen. Der Standort verfügt über Genehmigungen nach Bundes-Immissionsschutzgesetz, Wasserhaushaltsgesetz und Störfall-Verordnung. Er ist für die Lagerung der meisten Lagerklassen nach TRGS?510 zugelassen.

Sven Köcke, Sprecher von Finsterwalder, spricht von einem relativ umfangreichen Genehmigungsprozess von etwa eineinhalb Jahren. Durch die Genehmigungsbehörde, in dem Fall das Landesverwaltungsamt, das den Antrag unter dem Titel "Anlage zur Lagerung von sehr giftigen, giftigen, brandfördernden oder explosionsgefährlichen Stoffen" bekanntmachte, war das Thema auf einmal in den Medien. "Letztlich kamen zum öffentlichen Erörterungstermin aber nur zwei Hallenser Einwohner, welche eher Fragen zum Anlieferverkehr in der Nacht hatten", so Köcke. Die Genehmigung sei drei Monate später erteilt worden. Das Industriegebiet im Osten der Stadt, in dem das Lager errichtet wurde, ist von Wohnbebauung umgeben. Köcke kann grundsätzlich verstehen, dass die gefühlte Gefährdungslage hoch ist, wenn Anwohner in Sichtweite zu einem Gefahrgutlager leben.

Keine Proteste im Süden

Auch der unterfränkische Logistiker Schäflein hat Ende 2015 in Röthlein bei Schweinfurt ein Gefahrgutlager mit einer Fläche von 8.000 Quadratmetern in Betrieb genommen. "Unser altes Gefahrstofflager hatte nur 2.000 Quadratmeter", sagt Geschäftsführer Achim Schäflein. Er sieht in der Gefahrstoff-Logistik enormen Bedarf. Das neue Lager ist das erste in der Region, das sogar den erweiterten Pflichten der Störfall-Verordnung unterliegt. Proteste blieben in Unterfranken aus.

 

Sicherheitsabstände und Umgebungsbebauung

In den Bauordnungen der Länder ist festgelegt, welche Mindestabstände zu anderen Gebäuden einzuhalten sind. Werden diese bei einer Bebauung durch den Betreiber der Lageranlage oder durch Dritte unterschritten, ist durch Änderung der Bauweise des Lagergebäudes selbst oder durch die Bauweise des geplanten Gebäudes zu gewährleisten, dass im Brandfall kein Feuerübersprung möglich ist und die Zugänglichkeit für die Feuerwehr gewährleistet ist. Dies ist in Abhängigkeit von der Höhe der benachbarten Gebäude durch feuerbeständige, fensterlose Wände und durch feuerhemmende Bedachung des niedrigeren Gebäudes möglich. Zu beachten ist hierbei, dass Lageranlagen für Gefahrstoffe von mindestens zwei Seiten, bei größeren Lageranlagen von mindestens drei Seiten für die Feuerwehr zugänglich bleiben müssen.

Für bestimmte Gefahrstoffe sind Schutz- und Sicherheitsabstände in Abhängigkeit von der Art und Menge der Gefahrstoffe erforderlich. Konkretisierungen finden sich in nachfolgenden Rechtsvorschriften:

  • für Lagerklasse 3 in den Technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) 510, Nr. 12,
  • für Lagerklasse 4.1 A in der Sprengstofflagerrichtlinie (SprengLR) 300,
  • für Klasse 5.2 in den Berufsgenossenschaftlichen Vorschriften (BGV) B4, Anhang I.

Die betriebliche Nutzung dieser Schutz- und Sicherheitsabstände ist eingeschränkt.

In der Regel sollten Lager für Gefahrstoffe in ausgewiesenen Industrie- oder Gewerbegebieten errichtet werden. Hat die zuständige Kommune solche Gebiete nicht ausgewiesen, ist darauf zu achten, dass eine Wohnbebauung nicht zu nahe an die Lageranlage "heranwächst". Um die Nutzung der Lageranlage nicht zu gefährden, hat der Lagerbetreiber darauf zu achten, dass entsprechende Baugenehmigungen nicht ergehen bzw. Widerspruch eingelegt wird. Präventiv sollten bereits entsprechende Veränderungen der Bauleitplanung beobachtet und diesen möglichst bereits im Vorfeld entgegengewirkt werden. Gelingt diese "Abwehr heranrückender Schutzobjekte" nicht, muss der Anlagenbetreiber anschließend mit verschärften Anforderungen zum Schutz der neuen Nachbarn rechnen und kann sich nicht darauf berufen, dass sein Lager Priorität genießt, wenn sich die herangerückten Nachbarn "sehenden Auges" angesiedelt haben.

Problematisch für den Betrieb der Lageranlage kann auch sein, wenn nachträglich Einrichtungen mit besonderer Schutzwürdigkeit in der Nähe des Lagers errichtet werden. Hier kann es sich um Einrichtungen mit erhöhter Personendichte wie Schulen, Krankenhäuser oder Verkehrswege wie Straßen und Eisenbahnen handeln. Entsprechende Planfeststellungen und Änderungen von Bebauungsplänen durch die zuständige Kommune sollte ein Lagerbetreiber kritisch prüfen und auf die Konsequenzen für den Lagerbetrieb hinweisen.

Generell hat eine einmal erteilte Genehmigung Bestand, das Lager damit also Bestandsschutz. Dies gilt auch bei nachträglicher Änderung von Rechtsvorschriften, sofern der Betreiber von Anlagen die in diesen Vorschriften festgelegten Änderungen fristgemäß vollzogen hat. Änderungen von Rechtsvorschriften für die Genehmigung und das Betreiben von Lageranlagen ergeben sich in den letzten Jahren verstärkt aufgrund von EU-Richtlinien, die in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Dies hat Änderungen im Baurecht, im Genehmigungsrecht und im Wasserrecht zur Folge, die wiederum Auswirkungen auf die Beschaffenheit von Lageranlagen haben können.

Für genehmigungsbedürftige Anlagen nach BImSchG gelten bei Rechtsänderungen strengere Anforderungen, weil der Betreiber hier den "dynamischen Betreiberpflichten" unterliegt, wonach er die Beschaffenheit und den Betrieb seiner Anlagen immer wieder an den Stand der Technik anpassen muss. Genügt der Betreiber dieser Anpassungspflicht nicht von selbst, so kann die Behörde dem durch eine nachträgliche Anordnung nach § 17 BImSchG Nachdruck verleihen. Dies ist dann der Fall, wenn festgestellt wird, dass die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft nicht ausreichend vor schädlichen Umwelteinwirkungen oder sonstigen Gefahren, erheblichen Nachteilen oder erheblichen Belästigungen geschützt ist. Nachträgliche Anordnungen nach § 17 BImSchG kommen von vornherein nicht in Betracht, wenn die betroffene Anlage nicht der Genehmigungspflicht nach BImSchG unterliegt, sondern nur nach Baurecht reglementiert ist.

(aus: gela 10/16, www.gefaehrliche-ladung.de)

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