Aufladung – Das Prinzip Gießkanne findet auch beim Befüllen von Behältern mit brennbaren Flüssigkeiten statt. Beim sogenannten Splash Filling gilt es, elektrostatische Gefahren auszuschließen.
(Sylvia und Günter Lüttgens, Elstatik, Odenthal) Mitunter ist in der Zeitung zu lesen, dass es beim Umfüllen einer entflammbaren Flüssigkeit zu einem Brand oder gar zu einer Explosion gekommen sei, so zum Beispiel am 29. März 2011: "Tankschiff explodiert in Lingen/Ems". Der Binnentanker hatte rund 900.000 Liter Superbenzin an Bord. Nach mehreren Explosionen brannte das Schiff so weit aus, dass es auf den Grund des etwa 3,50 Meter tiefen Hafenbeckens sank. Die Ursache der Explosion ist auch jetzt noch – nach mehr als zwei Jahren – unbekannt.
Sicherlich gestaltet sich die Ursachenforschung bei einem untergegangenen Tankschiff besonders schwierig, doch auch bei kleineren Flüssigkeitsbränden bleibt die Zündquelle – nicht zuletzt wegen der gründlichen Arbeit der Feuerwehr – oft unklar. Seitdem bei der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) vor etwa fünf Jahren vorgenommene Versuche ergeben haben, dass das Rauchen einer Zigarette Flüssigkeitsdämpfe nicht zu entzünden vermag (wohl aber das Anzünden der Tabakware), ist diese bequeme und früher gern genutzte Erklärung inzwischen obsolet.
Nun ist es aber von entscheidender Bedeutung, die Ursache für ein Brandgeschehen zu ermitteln, um künftige Schadensfälle zu verhüten. Seit einiger Zeit wird nun hier die Elektrostatik ins Spiel gebracht, und zwar für den Fall des Umfüllens brennbarer Flüssigkeiten im "Freistrahl" (Englisch: Splash Filling), was konkret bedeutet, dass hier kein Tauchrohr verwendet wird. Zugrunde gelegt wird dabei die sogenannte Wasserfallelektrizität, nach ihrem Entdecker auch Lenard-Effekt genannt. Lenard hatte 1929 über elektrische Felder berichtet, die er am höchsten Wasserfall Europas, dem sich über 300 Meter erstreckenden Staubbachfall in Lauterbrunnen (Schweiz), gemessen hat. Tatsächlich lassen sich dort elektrische Feldstärken messen, doch überschreiten die Dimensionen bei Weitem die bei technischen Umfüllvorgängen.
Mittlerweile sind in mehreren Ländern Leitlinien entwickelt worden, die sich mit den Gefahren infolge elektrostatischer Aufladungen beim Splash Filling befassen. Sie fanden weltweit Eingang in unterschiedlichen Regelwerken. Vergleicht man diese, ist festzustellen, dass die darin genannten Maßnahmen teilweise erheblich voneinander abweichen.
Hier drängt sich die Frage auf, weshalb nicht grundsätzlich eintauchende Füllrohre verwendet werden. Der Grund ist so einfach wie unwiderlegbar: Verschmutzung. Denn abgefülltes Produkt bleibt am Tauchrohr stets innen und außen haften. Es tropft dann auf den Boden, auf Kleidung und Schuhe und auch auf die Umgebung der Einfüllöffnung des Gebindes. So gewöhnlicher Natur sind technische Probleme.
Die internationalen Unterschiede in der Wahrnehmung der Gefahren beim Splash Filling wurden anlässlich der Sitzung des Arbeitsausschusses "Elektrostatik" der Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie (Dechema) am 16. Januar 2013 thematisiert. Dabei wurden gegeneinander abgegrenzt:
Hieraus resultieren unterschiedliche Raumladungsverteilungen im Gas- und Flüssigkeitsvolumen. Zuverlässige Abschätzungen erscheinen wegen des Einflusses der verschiedenen Parameter nicht möglich, so dass Simulationen in Verbindung mit Experimenten erforderlich sind, um zu klären, ob zündfähige Gasentladungen auftreten können.
Versuche im Milliliter-Bereich
Solche Experimente mit unterschiedlichen Flüssigkeiten unter Variation einiger Parameter wie Füllgeschwindigkeit, Fallhöhe usw. vorzunehmen, ist zweifellos anspruchsvoll und aufwendig. Für den sicheren Nachweis, dass Splash Filling keine elektrostatische Zündgefahr darstellt, kommt noch die sichere Reproduzierbarkeit der Messergebnisse hinzu. Grundsätzlich genügt es, den Eintritt eines Ereignisses einmal nachzuweisen, hingegen ist sein Nichteintritt stets mit Wahrscheinlichkeiten verknüpft.
Dies lässt sich gut an der Bestimmung von Mindestzündenergien für brennbare Stäube erklären: Tritt bei einer vorgegebenen Funkenenergie eine Zündung ein, so genügt dies für die Feststellung, dass die zugehörige Mindestzündenergie niedriger liegt. Wird dann die Funkenenergie um ein Intervall verringert, so sind aber mit diesem Wert 100 weitere Zündversuche vorzunehmen. Und erst wenn alle Versuche Nichtzündungen waren, dann ist dieser Wert als Mindestzündenergie anerkannt.
Um den Aufwand für den Diskurs beim Splash Filling nicht ins Unermessliche ansteigen zu lassen, wurde zunächst angedacht, Untersuchungen nacheinander in drei Größenklassen vorzunehmen:
Der Charme einer solchen Vorgehensweise besteht darin, dass beim Nachweis einer Aufladung von Tropfen während des freien Falls durch Luft auch eine Aufladung von freien Flüssigkeitsstrahlen als wahrscheinlich anzusehen ist. Sollte es aber nicht zur Tropfenaufladung kommen, so können nur noch andere Mechanismen wie etwa das Versprühen Anlass für eine Aufladung beim Splash Filling sein.
(aus: gela 06/13, www.gefaehrliche-ladung.de)
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