Lärm auf lauten Sohlen

Umrüstung – Als gäbe es nicht schon genug Herausforderungen für den Schienengüterverkehr, hat er sich jetzt mit einem Riesenproblem herumzuschlagen, für das es keine schnellen, einfachen Lösungen gibt: Lärm.

Sicherheit bei der Behälterreinigung

(skl) Gerade im Rheintal formiert sich immer lauter der Widerstand gegen einen ganzen Verkehrsträger, der nur auf den ersten Blick ein wenig an die Proteste gegen das DB-Bauvorhaben "Stuttgart 21" im letzten Jahr erinnert. Denn der Widerstand dürfte tiefer sitzen und sich über längere Zeit herausgebildet haben: es geht um Lärm, der Stress verursacht, der nachweislich krank macht. "Bahnterror", "Schienenwahnsinn" ist hier überall zu hören und zu lesen. Der Lärm kommt jeden Tag in schöner Regelmäßigkeit, vor allem jede Nacht, wenn sonst alles ruhig ist, wenn vor allem Güterzüge statt leiserer ICE oder Nahverkehrstriebwagen durchs Tal donnern.

An der Rheinstrecke kommen einige ungünstige Gegebenheiten zusammen: es ist mit die meistbefahrene Bahnstrecke für Güterverkehre in Mitteleuropa, sie befindet sich in schallverstärkender Tallage, auf der anderen Seite ist die Rheingegend geprägt von Tourismus, Kulturerbe und Naturschutz. Widerstand formiert sich aber auch an anderen Orten in Deutschland. Im Prinzip ist jede deutsche Großstadt und jeder Ballungsraum davon betroffen, denn Bahnstrecken führen nun mal von Haus mitten durch die Städte. Während aber früher eine breite Verteilung der Güterzüge – aufgrund gleichmäßigeren Güteraufkommens und der viel größeren Zahl der Rangierbahnhöfe – übers ganze Schienennetz erfolgte, fahren Güterzüge heute dicht an dicht auf wenigen Hauptstrecken, sie fahren mit Geschwindigkeiten um die 100 km/h außerdem deutlich schneller als früher und eben vor allem nachts.

Nachgewiesen ist die Lärmbelastung in der Umgebungslärmkartierung, wie sie das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) aufgrund von Messungen in den letzten fünf Jahren zunächst für die Hauptstrecken im deutschen Netz vorgenommen und (auf den EBA-Internetseiten) veröffentlicht hat. Vor allem zwei Strecken stechen in tiefem Rot heraus: neben der Rheinstrecke Köln-Basel ist das die deutsche Nord-Süd-Achse Hamburg-Nordbayern, von Würzburg bis München ist also die Belastung gemäß Lärmkartierung nicht ganz so hoch.

Unmittelbar an stark belasteten Bahnlinien gelegene Häuser sind heute einem Dauerschallpegel von über 80 bis zu 100 Dezibel (dB) ausgesetzt. Als Grenzwert nahe Wohngebieten gelten laut Bundesimmissionsschutzverordnung bei Neubau-Projekten 59 dB am Tag und 49 dB nachts, wobei es für Bahnstrecken seit den 70er Jahren einen "Schienenbonus" gibt, der die Grenzwerte um 5 dB erhöht. Die Differenz zwischen Ist-Zustand an alten Strecken und dem Soll für Neubaustrecken ist also mit mindestens 25 dB gewaltig, wenn man dazu bedenkt, dass in dieser Differenz eine Vervielfachung des Lärmempfindens liegt.

Entlang bestehender Verkehrswege gibt es indes keinen Rechtsanspruch auf Lärmschutz. Das seit 1999 laufende Lärmsanierungsprogramm des Bundes für Bahnstrecken erfolgt auf freiwilliger Basis, die rein passiven Maßnahmen wie Lärmschutzwände und Schallschutzfenster können aber auch nur die größte Not lindern. Die Politik, nicht nur die lokalen Vertreter, sind ob der Lärmbeschwerden jedenfalls alarmiert. Schließlich ist auch bald Bundestagswahlkampf.

"Wir werden weiter Güterzüge in Deutschland haben, sogar mehr als heute," sagt hingegen Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer. Die Zukunft werde nicht in der Einschränkung von Bahnverkehr liegen, sondern in der Lärmreduzierung. Es gebe viele innovative Ansätze, das System Schiene leiser zu machen: Schienenstegdämpfer, Schienenschmiereinrichtungen, ähnlich schnell wie Züge verkehrende Schienenschleifmaschinen, elastische Sohlen unter den Schwellen, verschäumte Gleisbetten usw. Solche Maßnahmen sind mit Mitteln des Konjunkturpaketes II ab 2010 erprobt worden. Nachteil: Die grundhafte Lärmsanierung von 1 Kilometer Bahnstrecke kostet durchschnittlich 650.000 Euro. 1 Kilometer Lärmschutzwand kostet hingegen nur einen winzigen Bruchteil davon, die Maßnahme ist aber wegen topographischer Gegebenheiten und aus Ortsbildschutzgründen nicht immer möglich, zudem ist der Nutzen nicht besonders hoch.

Wie Lärm entsteht

Bahnlärm ist eine akustische Gemengelage: Loks haben mitunter noch recht laute Motoren, Wagen klappern und quietschen, dazu kommen Bremsgeräusche und Geräusche in Kurven. Hauptgeräuschquelle bei Güterzügen ist aber eindeutig das Geräusch zwischen Rad und Schiene, auch wenn diese nicht quietschend bremsen. Metall trifft auf Metall: "Der unstete Vorgang des Abrollens des Rades auf der Schiene führt durch Unebenheiten sowie schwankende Belastungen zu Schwingungen in Rad, Schiene und Gleisschwelle", erklärt Prof. Markus Hecht von der TU Berlin, Fachgebiet Schienenfahrzeuge. "Die Oberflächen dieser Körper bewegen sich hochfrequent und nehmen angrenzende Luft mit – Schall wird abgestrahlt." An der Schnittstelle Rad-Schiene gelte es anzusetzen, weitere Lärmreduktionen am Wagen seien nur in begrenztem Umfang möglich.

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Eine "führende" Rolle an dieser Schnittstelle spielen die Bremsbeläge, die traditionell aus Grauguss sind. Die Grauguss-Bremstechnik stammt ebenso wie das händische Zusammen- und Auseinanderkuppeln von Bahnwagen noch aus dem 19. Jahrhundert. Die harten Beläge schleifen Rillen in die stählernen Laufflächen der Räder, was mit der Zeit für stärkere Abrollgeräusche der Güterwagen sorgt. Besonders laut wird es, wenn die rauen Räder auf ein ebenfalls raues Gleis donnern. Zwar existieren auch für Bahnwagen mittlerweile alternative Bremsbeläge, doch ist ein Austausch nicht so einfach zu realisieren.

Die TSI Noise (Technische Spezifikationen für Interoperabilität) schreibt für den Bau von Neuwagen bereits seit 2006 einen Belag aus Komposit-Werkstoff vor, die so genannte K-Sohle, die aus einer Kombination aus Metallfasern und Kautschuk-Harzverbindungen sowie Additiven besteht. Wagen, die mit solchen Flüsterbremsen ausgerüstet sind, laufen um die Hälfte leiser, weil der Werkstoff die Radlaufflächen spiegelglatt hält.

Problematisch wird es bei der bestehenden Waggonflotte: Sie auf K-Sohlen umzurüsten, ist nicht ganz einfach bzw. recht teuer. Denn K-Bremssohlen haben gegenüber den Grauguss-Klötzen einen anderen Reibwertverlauf. Während die Bremskraft der Grauguss-Sohlen mit steigender Geschwindigkeit zunächst stark abnimmt und sich dann auf einen geringen Wert einpendelt, verzögern die K-Sohlen nahezu linear. Das heißt, dass sich bei höherem Tempo der Druck, der auf den Bremsschuh ausgeübt werden muss, weniger verändert. Bei einer Umrüstung alter Wagen können aus diesem Grund nicht einfach die Bremssohlen ausgetauscht werden, auch die Mechanik muss angepasst bzw. ausgetauscht werden.

Das Dilemma soll die "LL-Sohle" lösen. Das Kürzel steht für "Low noise, Low friction" (geringer Lärm, geringe Reibung) und beschreibt eine Verbundstoff-Bremssohle aus Metallfasern und Kunststoff, der die Ingenieure eigens ein schlechteres Bremsverhalten "antrainiert" haben, so dass ihre Reibwertkennlinie weitgehend der von Graugusssohlen entspricht. Bei einer Umrüstung alter Wagen mit der gegenüber der K-Sohle weniger leistungsfähigen LL-Sohle kann auf umfangreiche Anpassungen der Bremstechnik verzichtet werden. Die Kosten liegen nur bei rund 2.000 Euro je Güterwagen, während der Umbau auf K-Sohlen mit etwa 6.000 Euro zu Buche schlägt. Hinzu kommen für beide Verbundstoff-Sohlen um 500 Euro höhere Betriebs- und Wartungskosten pro Jahr und Wagen im Vergleich zur Grauguss-Sohle.

Doch noch ist die LL-Sohle nicht zugelassen. Angekündigt wird sie bereits seit 15, 20 Jahren. 2013 sollte es dann aber endlich so weit sein, alle in der Branche sehnen die frohe Botschaft vom federführenden Internationalen Eisenbahnverband (UIC) und der beaufsichtigenden European Rail Agency (ERA) herbei. Die LL-Sohlen waren schließlich auch einem Langzeit-Praxistest unterzogen worden: am "Europe Train" hatten sich 30 europäische Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) beteiligt. Der Zug legte über zwei Jahre 200.000 Kilometer unter unterschiedlichen klimatischen Einflüssen zurück, die vor kurzem vorgestellten Ergebnisse waren für die mit der technischen Untersuchung beauftragte DB Systemtechnik zufriedenstellend.

Neues Trassenpreissystem

Anreize für die Umrüstung bestehender Güterwagen auf leisere Sohlen sollen mit dem Lärmabhängigen Trassenpreissystem (LaTPS) gesetzt werden. Es betrifft insgesamt zirka 180.000 Bahngüterwagen: Rund 120.000 Wagen befinden sich in deutschem Besitz, zu je etwa gleichen Teilen bei der Deutschen Bahn (DB) und privaten Haltern, letztere sind in der Vereinigung der Privatgüterwagen-Interessenten (VPI) organisiert. Hinzu kommen noch einmal zirka 60.000 ausländische Waggons, die regelmäßig durch Deutschland verkehren.

Das Trassenpreissystem sollte eigentlich am 9. Dezember starten. Die für die Bahnstrecken und Nutzungsentgelte zuständige DB Netz hatte allerdings per Kundenanschreiben genau zwei Monate zuvor das Aussetzen der Trassenpreiserhöhung bis zum 31. Mai 2013 angekündigt. Vorgesehen ist nach wie vor, dass für den Einsatz lauter, herkömmlicher Wagen ein Preisaufschlag erhoben wird. Die Mehreinnahmen soll die zur Erlösneutralität verpflichtete DB Netz in gleichem Maße an die EVU auszahlen, die Wagen mit Verbundstoff-Sohlen einsetzen. Die Boni sollen über Marktmechanismen den Haltern dieser Wagen zufließen.

Ob dies aber gelingt, ist sehr zweifelhaft. Daher kritisieren vor allem die Privatgüterwagenhalter des neue Trassenpreissystem. Ursprünglich sahen nämlich die Förderrichtlinien des Bundesverkehrsministeriums (BMVBS) auch eine direkte Auszahlung an die Wagenhalter vor. Doch die Generaldirektion Wettbewerb der EU-Kommision bewertete dies als unzulässige Beihilfe für die Branche. "Damit wird ein methodisch gutes System zur direkten Umrüstungsfinanzierung lärmarmer Güterwagen schneller beerdigt, als dies notwendig gewesen wäre", heißt es bei der VPI. Immerhin hätten in dem System diejenigen eine Förderung erhalten, die auch die Investitionen zu tätigen haben.

Nun bleibt den Haltern nur die Förderung von 50 Prozent der Umrüstkosten, dafür ist ein Mittelbedarf von 152 Millionen Euro aus dem Lärmsanierungsprogramm des Bundes kalkuliert worden. Der Verwaltungsaufwand für die Erfassung der umgerüsteten Wagen in einem Umrüstregister ist beträchtlich, da auch die Laufleistung der Wagen mit über die Förderhöhe entscheidet. "Die Anreize zur Umrüstung tendieren nun nach der abgespeckten Förderung gegen Null", heißt es bei den Wagenhaltern. Neidisch schauen die VPI-Mitglieder in die Schweiz, wo Wagenhalter die Umrüstkosten voll erstattet und darüber hinaus noch dauerhafte Laufleistungsvergütungen bekommen.

Die Umrüstung aller 180.000 Bahnwagen, die in Mitteleuropa und damit regelmäßig durch Deutschland verkehren, soll bis 2020 abgeschlossen sein. Dann laufen gemäß Plan auch das Förderprogramm des Bundes und das um ein halbes Jahr verschobene Lärmabhängige Trassenpreissystem aus. Und acht Jahre sind der Zeitraum, in dem jeder Wagen ohnehin zur Revision in die Werkstatt muss. Zudem zeichnet sich ab, dass der Einsatz von Grauguss-Sohlen ab 2020/21 an allen rund 600.000 Güterwaggons in Europa nicht mehr zulässig sein wird.

Schleppende Umrüstung

Ob aber der Umstieg auf die beiden Arten von Verbundstoff-Bremssohlen mangels voller Umrüstförderung und mangels ausbleibender Zulassung der LL-Sohle pünktlich gelingt, erscheint zweifelhaft. Bei der DB-Güterbahntochter Schenker Rail sind erst 7.000 (Neubau-)Wagen der rund 60.000 Waggons umfassenden Flotte mit K-Sohlen umgerüstet. Den Anti-Bahnlärm-Initiativen vom Rhein ist jedenfalls auch der Zeitraum von acht Jahren viel zu lang. Der Schienengüter-Sektor muss daher mit Nachtfahrverboten und Geschwindigkeitsbegrenzungen rechnen.

Mit einer verstärkten Umrüstung der Güterwagen ist erst gegen Ende der Förderperiode 2020 zu rechnen, dabei tut eine baldige Umrüstung not. Denn das Lärmverhalten eines Systems wird stets vom schwächsten Glied bzw. in dem Fall von der lautesten Quelle bestimmt. Erst wenn die letzten lauten Bahnwagen verschwunden sind, schlägt der Umrüstungseffekt voll durch.

Zu bestaunen war dies, etwa von den Anwohnern in Bingen, als im Oktober der erste leise Ganzzug durch das Mittelrheintal fuhr. Im Rahmen des Projektes "Leiser Rhein" hatte das BMVBS die Umrüstung von zirka 1.500 Wagen auf K-Sohlen gefördert. Das vom Sektor nicht besonders gut genutzte Programm – nur drei Unternehmen (darunter DB Schenker Rail) beteiligten sich – lief vor kurzem aus. Der Verkehrsträger Bahn hat wieder mal etwas verschlafen.

(aus: gela 01/13, www.gefaehrliche-ladung.de)

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