Tunnel frei

Bahn – Am 1. Juni wird in der Schweiz der Gotthard-Basistunnel offiziell eröffnet, mit 57 Kilometern der längste Eisenbahntunnel der Welt. Er soll im Alpentransit noch mehr Güter von der Straße auf die Schiene bringen.

Von Stefan Klein

Für deutsche Infrastrukturprojekte scheint es unmöglich zu sein, dass ein Projekt mal früher als geplant fertiggestellt wird, das Gegenteil ist die Regel. Die Schweizer schaffen dies nun ausgerechnet mit einem Jahrhundertprojekt, dem Gotthard-Basistunnel, der schon in diesem Jahr statt 2017 (wie noch Mitte des letzten Jahrzehnts geplant) in Betrieb genommen wird.

Lange Vorarbeiten waren natürlich auch für den "Gottardo" erforderlich, anfangs kam es auch zu Verzögerungen. Der Tunnelanstich erfolgte noch kurz vor dem Jahrtausendwechsel im November 1999. Gut zehn Jahre später, im Oktober 2010, war es dann so weit: der Durchschlag der genau 57.091 Meter langen Oströhre war durch die hunderte Meter lange Tunnelbohrmaschine mit neun Metern Bohrkopfdurchmesser geschafft, die gut 100 Meter kürzere Weströhre folgte im März 2011. Mit allen Quer- und Verbindungsstollen wurden insgesamt 153,5 Kilometer Tunnelstrecke angelegt. 28 Millionen Tonnen Gestein wurden dafür aus dem Gotthardmassiv, Teil der Zentralschweizer Alpen, geholt. Im Oktober 2015, direkt nach dem Einbau der Bahntechnik, begann bereits der Testbetrieb.

Der Gotthard-Basistunnel ist Teil der 21 Milliarden Euro teuren Neue Eisenbahn-Transversale (NEAT). Diese umfasst außerdem den Lötschberg-Basistunnel (35 Kilometer lang, bereits fertiggestellt) sowie den Ceneri-Basistunnel (15 Kilometer lang, Eröffnung 2020). Mit der fertigen NEAT soll der Transport in Europas wichtigstem Güterverkehrskorridor Rotterdam–Genua schneller und mit höherer Kapazität laufen. Ein wichtiges Detail dabei: Auf der NEAT, die auch als Flachbahn bezeichnet wird, weil der höchste Punkt der Strecke bei 550 Höhenmetern und damit 600 Meter unter dem heutigen Scheitelpunkt liegt, ist künftig auch die Beförderung von Sattelaufliegern mit vier Metern Höhe (Profil P400) möglich.

Projekte in Deutschland, die ebenfalls auf die Stärkung des Rhine-Alpine-Korridors abzielen – etwa der viergleisige Aus- und Neubau der 182 Kilometer langen Rheintalbahn zwischen Karlsruhe und Basel – kommen indes nur mühselig voran. Ein Fertigstellungstermin wird offiziell nicht benannt, nicht zuletzt durch Proteste von Bürgerinitiativen wird der Ausbau wohl bis mindestens 2030 dauern.

Durch die neuen Bahntunnel sollen in der Schweiz langfristig noch mehr Güter von der Straße auf die Schiene verlagert werden. Laut dem Schweizer Bundesamt für Verkehr (BAV) werden heute schon 27 Millionen Tonnen Güter per Bahn durch den Alpenstaat befördert, 80 Prozent davon als reine Transitverkehre. Im Transit hat die Bahn bereits einen Marktanteil von 70 Prozent am Modal Split.

Der alpenquerende Güterverkehr steigt Jahr für Jahr stetig. Eines Tages sollen 40 Millionen Tonnen Güter im Jahr durch den "Gottardo" rollen, doppelt so viel wie auf der alten Gotthard-Achse. Rund 300 Züge werden im Regelbetrieb täglich durch den Tunnel fahren, neben Personenzügen mit bis zu 250 km/h werden dies in kurzen Abständen von (mindestens) drei Minuten größtenteils Güterzüge sein: bis zu 160 km/h schnell, 750 Meter lang und 2.000 Tonnen schwer.

Umfangreiches Sicherheitskonzept

Der Betrieb des Bahntunnels erfolgt unter hohen Sicherheitsmaßstäben. Die zwei bereits durch den Bau richtungsgetrennten Röhren schließen Kollisionen aus, wie auf den benachbarten Streckenabschnitten kommt das European Train Control System (ECTS), Level 2 zum Einsatz. Kommt es in einem Zug zu einer Alarmauslösung, wird er automatisch bis zur nächsten Nothaltestelle geführt, Folgezüge werden gestoppt. Muss ein Zug evakuiert werden, zeigen Handläufe, Notfallbeleuchtung und Beschilderung den Weg aus der Gefahrenzone, alle 325 Meter bestehen Übergänge in die Gegenröhre. Zudem halten die Erhaltungs- und Interventionszentren in Erstfeld (nördlich des Tunnels) und Faido (südlich) je einen Lösch- und Rettungszug bereit. Diese kommen zur Rettung von Personen und zur Brandbekämpfung zum Einsatz. Um den Gotthard-Tunnel sicher zu betreiben, schulen die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) 2.900 eigene (u.a. Lokführer und Zugpersonal) und 1.000 externe Mitarbeiter.

Aus Gefahrgutsicht ist interessant, dass das Schweizer Schienennetz bereits über 160 Zugkontrolleinrichtungen verfügt, die an vorbeifahrenden Zügen:

  • mit Dehnmessstreifen die maximale Achslast und auf etwaige Achsverschiebungen und grobe Radfehler kontrollieren,
  • mit Laserscannern eine Überschreitung des Lichtraumprofils, etwa durch verschobene Ladung oder Abdeckung, ermitteln,
  • per Infrarotsensoren Festbremsungen und Heißläufer als Ursache für Achsbrüche und Entgleisungen erkennen,
  • mit Multicomponent-Gasanalyzern die Konzentration von (Brand-)Gasen wie Kohlendioxid und -monoxid, aber u.a. auch von Methan detektieren.

Solche Zugkontrolleinrichtungen sind auch am Gotthard installiert.

Betrachtet man das Risiko eines Gefahrgutunfalls, so ist der Tunnel laut BAV als sicherer anzusehen als die bisherige Bergstrecke: Durch das Fehlen von Kurven und die geringe Anzahl von Weichen ist das Entgleisungsrisiko geringer, bei allerdings höheren Zuggeschwindigkeiten. Zudem werden keine Siedlungsgebiete durchfahren.

Für den Gotthard-Basistunnel gelten keine über das RID hinausgehenden, nationalen Einschränkungen. Die erwartbare Erhöhung der Gefahrgutmengen nach der Eröffnung ist sowohl den Behörden als auch dem Betreiber SBB bewusst. Gemäß der Schweizer Störfallverordnung (StFV), die u. a. für Eisenbahnanlagen gilt, auf denen gefährliche Güter transportiert werden, ist der neue Tunnel in das regelmäßige Screening von Personen- und Umweltrisiken für das der StFV unterstellte Schienennetz einbezogen.

Gefahrgut durch Straßentunnel?

Anders sieht es übrigens für den Gotthard-Straßentunnel aus, der mit der strengsten ADR-Tunnelkategorie E belegt ist. In einer Volksabstimmung Ende Februar stimmten die Schweizer für den Bau einer zweiten Röhre. Sind voraussichtlich ab 2030 zwei Röhren in Betrieb, könnte der 17 Kilometer lange Tunnel durch den dann richtungsgetrennten Verkehr mehr oder weniger für Gefahrgüter freigegeben werden. Man darf aber davon ausgehen, dass die Schweizer dabei ihr Alpenschutzprogramm, das bisher erfolgreich Güter von der Straße auf die Schiene brachte, nicht aus den Augen verlieren.

(aus: gela 05/16, www.gefaehrliche-ladung.de)

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