Unfall – Bei ABC-Gefahrenlagen, wozu auch Gefahrgutunfälle gehören, gehen Feuerwehren gemäß GAMS-Regel vor, um Schaden von den auch im Gefahrgutrecht genannten Schutzgütern zu nehmen. Ein Grundsatzbeitrag.
Von Klaus Ehrmann
Die älteste und namensgebende Aufgabe der Feuerwehren ist das Löschen von Schadensfeuern, die Brandbekämpfung. Einen weiteren wesentlichen Beitrag in der nicht-polizeilichen Gefahrenabwehr leisten Feuerwehren bei der technischen Hilfe – etwa nach Verkehrsunfällen –, der Höhen- und Tiefenrettung und anderen Befreiungen aus Zwangslagen. Eine sehr spezielle Einsatzart der technischen Hilfe ist die Gefahrenbeseitigung bei Unfallereignissen mit atomaren (radioaktiven), biologischen und/oder chemischen Stoffen (ABC-Gefahren).
Zur Bewältigung dieser Aufgaben werden flächendeckend im gesamten Bundesgebiet öffentliche Feuerwehren mit zirka 1,3 Millionen aktiven Feuerwehrmännern und -frauen von den Kommunen unterhalten. Organisatorisch gliedern sich diese in Freiwillige Feuerwehren und in Berufsfeuerwehren mit ihren rund 30.000 Aktiven, die hauptsächlich auf die großstädtischen Ballungsräume konzentriert sind. Darüber hinaus betreiben größere Unternehmen in Deutschland rund 1.000 Werk- und Betriebsfeuerwehren mit rund 32.000 Einsatzkräften, um den speziellen Gefahren in vielen Branchen – etwa in der Chemischen Industrie – mit eigenen Feuerwehren auf dem Werksgelände begegnen zu können.
Unabhängig von der Organisationsform ist das Anforderungsprofil für alle Feuerwehren dasselbe. Jede öffentliche Feuerwehr muss als kommunale Einrichtung in ihrem Einsatzgebiet 24 Stunden am Tag, 7 Tage in der Woche und 365 Tage im Jahr ihre Einsatzbereitschaft sowohl in der materiellen Ausrüstung, als auch in der personellen Stärke gewährleisten. Auch die umfangreiche Grundausbildung ist für alle Feuerwehrangehörigen gleich. Die begleitende praktische Ausbildung fokussiert auf Einsatzübungen unter möglichst realen Einsatzbedingungen wie zum Beispiel in Brandcontainern.Die Kombination von fundiertem Wissen und vielfach eingeübter praktischer Beherrschung der technischen Ausrüstung – dabei insbesondere der Umgang und des Anlegen der persönlichen Schutzausrüstung – stellt sicher, dass auch unter dem physischen und psychischen Stress der Einsatzbedingungen ein zielgerichtetes und sicheres Bewältigen der Gefahrensituation gelingt.
Ein typischer Unfall mit Gefahrgütern ist ein Schadensereignis, bei dem durch das ungewollte Freiwerden solcher Güter Gefahren für die Schutzgüter Mensch, Tier, Sachwerte und die Umwelt entstehen. Aufgabe der Feuerwehr ist es, die unmittelbare Gefährdung dieser Schutzgüter durch ihre Einsatzmaßnahmen abzuwenden. Die obige Aufzählung der Schutzgüter (vergleiche §?2 GGBefG) ist hierarchisch gemäß ihrer Schutzwürdigkeit zu sehen, oberstes Schutzziel ist also der Schutz von Menschen.
Abhängig von den Stoffeigenschaften und der Menge des frei gewordenen Gefahrguts bestehen unterschiedliche Gefahren für die Schutzgüter. Aufgabe der zuerst eintreffenden Einsatzkräfte ist, die Gefahren zu erfassen und zu bewerten, Erstmaßnahmen einzuleiten und ggf. zusätzliche Kräfte frühzeitig nachzufordern. Diese Einschätzung obliegt dem ersteintreffenden Einsatzleiter.
Die Abarbeitung von ABC-Gefahrenlagen erfolgt auch bei Gefahrgutunfällen nach der so genannten GAMS-Regel. Die Merkregel steht für das routinemäßige Vorgehen in derartigen Gefahrenlagen, nämlich: Gefahr erkennen, Absperren, Menschen retten, Spezialkräfte anfordern. Die Regel wurde Ende der 70er Jahre entwickelt, sie ist heute auch in der Feuerwehr-Dienstvorschrift (FwDV) 500 enthalten, welche das Vorgehen in ABC-Gefahrenlagen erläutert.
Oft bietet sich den ersteintreffenden Feuerwehren ein Bild des Unfallgeschehens wie auf dem Foto links gezeigt. Die Schwierigkeiten für die Einsatzkräfte liegt dabei darin, sofort die Besonderheiten des Unfallgeschehens – nämlich die Beteiligung von Gefahrgut – zu erfassen und zielführende Erstmaßnahmen wie etwa die Menschenrettung unter Beachtung des Eigenschutzes einzuleiten.
Gefahr(gut) erkennen
Wichtigstes Element der Sofortinformation bei Transportunfällen auf der Straße oder Schiene ist die orangefarbene Warntafel, die in der Regel die UN-Nummer und die Gefahrnummer (früher Kemler-Zahl) des beförderten Stoffs angibt, sowie ggf. Gefahrzettel bzw. Placards. In vielen Fällen sind jedoch die äußeren Kennzeichnungen unfallbedingt vollständig oder teilweise abgerissen und am Unfallort verstreut, somit können hier keine schnellen und sicheren Informationen über die beteiligten Stoffe bzw. über die von diesen ausgehenden Gefahren abgeleitet werden.
Zweites wesentliches Element der Gefahrgut-Kurzinformation sind die Transportpapiere. Die darin enthaltenen, detaillierten Informationen über die beförderten Gefahrgüter ermöglichen dem Einsatzleiter vor Ort eine erste Abschätzung der vom Gefahrgut ausgehenden Gefahren sowie ggf. eine Plausibilitätsprüfung bzw. ergänzende Verifikation der äußeren Kennzeichnungen. Insbesondere durch die Angabe von Versender und Empfänger in den Beförderungspapieren kann auch ein schneller und ergänzender Kontakt zu dem Personenkreis hergestellt werden, der Detailkenntnisse über das verunfallte Gut hat.
Allgemein gilt in dieser Einsatzphase folgende Regel: Nur wenn den Einsatzkräften am Unfallort die notwendigen Erstinformationen sofort und sicher zur Verfügung stehen, können Erstmaßnahmen zielführend und effektiv durchgeführt werden. Jegliche Fehlinformation oder fehlende Informationsmöglichkeit kann in dieser Phase weitreichende Folgen für das weitere Einsatzgeschehen haben.
Absperren mit Abständen
Zweite Einsatzmaßnahme im Gefahrguteinsatz ist gemäß GAMS-Regel das Absperren und Sichern der Einsatzstelle. Standardabsperrgrenze für den Gefahrenbereich ist eine Fläche mit einem Radius von mindestens 50 Meter. Innerhalb des Gefahrenbereichs sind während des akuten Einsatzgeschehens nur Feuerwehr-Einsatzkräfte mit entsprechender Schutzausrüstung tätig. In einem weiter gefassten zusätzlichen Absperrbereich mit einem Standardradius von 100 Meter finden sich die Aufstellungs- und Bewegungsflächen aller am Einsatz beteiligten Einsatzkräfte. Je nach Flüchtigkeit austretender Gefahrstoffe, der Örtlichkeit, der Wetterlage und vor allem der Windstärke/-richtung muss der unmittelbare Gefahrenbereich in Windrichtung deutlich vergrößert werden. Bei sesshaften, nicht-flüchtigen Substanzen besteht aber auch die Möglichkeit, den Gefahrenbereich zu verringern.
Retten – notfalls ohne Vollschutz
Gemäß der Schutzzielhierarchie hat das Retten von Verletzten oberste Priorität. Nach Einschätzung des Einsatzleiters der ersteintreffenden Kräfte kann dies auch ohne vollständige Schutzausrüstung – unter Verminderung des Eigenschutzes – erfolgen, d.?h. dass auf eine allumfassende Schutzkleidung wie den Chemikalienschutzanzug verzichtet werden kann, wenn es erforderlich ist, Verletzte sofort aus dem Gefahrenbereich zu retten. Mindestschutzausrüstung zur Rettung ist aber in jedem Fall ein umluftunabhängiger Atemschutz und Schutzkleidung der Form 1 gemäß Herstellungs- und Prüfungsbeschreibung für eine universelle Feuerwehrschutzbekleidung (HuPF), bestehend aus Feuerwehrstiefeln, Schutzhose/ -jacke, Helm, und Handschuhen.
Nach Abschluss der Menschenrettung und ggf. Dekontamination der geretteten Person(en) erfolgt deren Übergabe an den Rettungsdienst. Für nicht speziell für den Gefahrguteinsatz ausgerüstete Feuerwehren endet an dieser Stelle der Einsatz, da ohne zusätzliche Schutzausrüstung und Ausrüstung wie chemikalienbeständige Spezialpumpen oder Auffangbehälter keine weiteren Bekämpfungsmaßnahmen ergriffen werden können.
Spezialkräfte anfordern
Sind zusätzliche und ergänzende Maßnahmen bis zur vollständigen Beseitigung der unmittelbaren Gefährdung nötig, müssen Spezialkräfte mit entsprechender materieller und personeller Ausstattung angefordert werden. Dies können zum Beispiel die Gefahrgut-, Gefahrstoff- oder Umweltschutzzüge der öffentlichen Feuerwehren sein, die oft zentral bei größeren Feuerwehren oder als Landkreiseinheit vorgehalten werden. Daneben wird von der Chemischen Industrie ein Netzwerk von Werk- und Betriebsfeuerwehren (TUIS) unterhalten, das bei Gefahrgutunfällen professionelle Unterstützung bietet.
Der Feuerwehreinsatz endet, wenn für die Schutzgüter keine unmittelbaren Gefährdungen mehr bestehen. Dann wird die Einsatzstelle an andere Verantwortliche übergeben, zum Beispiel an die Polizei oder Strafverfolgungsbehörden, die eigene Ermittlungen zu dem Geschehen aufnehmen, oder auch an Verkehrslastträger für die weitere Bearbeitung des Ereignisses wie die Reparatur der Fahrbahn. Die Feuerwehren sind im Allgemeinen nicht für die Reinigung der Unfallstelle zuständig, wenn von dieser Verunreinigung keine unmittelbare Gefährdung ausgeht. Auch der Abtransport von (Gefahrgut-)Abfällen fällt nicht in den originären Zuständigkeitsbereich der Feuerwehren, sondern wird von für das Abfallgut zugelassenen Entsorgungsunternehmen durchgeführt.
(aus: gela 05/15, www.gefaehrliche-ladung.de)
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