StorckSymposium – Bei den 32. Internationalen Gefahrgut-Tagen Hamburg waren die aktuellen Themen vertreten: u.a. Rechtsfortentwicklung, Lithiumbatterien, Tianjin, Compliance und Containergewichte.
Von Stefan Klein und Dr. Michael Heß
Es ist und bleibt ein Treffpunkt der besonderen Art: Die alljährlich im Februar stattfindenden Internationalen Gefahrgut-Tage Hamburg bieten die Möglichkeit, sich über aktuelle und anstehende Entwicklungen im Gefahrgutrecht zu informieren sowie auf Spitzenebene mit Experten von Behörden, Verbänden und Unternehmen fachlich zu diskutieren. Auch bei der 32. Veranstaltung dieser Reihe war wieder ausreichend Zeit, bestehende Kontakte zu pflegen und neue zu knüpfen.
Konzept für Sicherheit
Zu Beginn standen weniger Paragrafen und Absätze in den Regelwerken im Vordergrund, sondern das Qualitätsmerkmal "Technische Sicherheit". Dr. Bernd Schulz-Forberg vom VDI regte zum Diskurs zwischen Risikovermeidung und Sicherheitsmanagement an.
Zwischenfälle, Unfälle oder Störfälle würden es verlangen, die Methoden zur Erzeugung von Sicherheit kritisch zu überprüfen. Diese würden häufig genug nur in den sehr spezifischen Fachdisziplinen vorgenommen. Der hohe Grad der bislang eingetretenen Differenzierung in Fachdisziplinen erfordere es zunehmend, so Schulz-Forberg, Managementsysteme einzuführen. Da die Sicherheitstechnik selbst keine eigenständige Fachdisziplin bilde, ergebe sich von ihr heute ein recht uneinheitliches Bild.
Der VDI will Abhilfe schaffen und hat ein geschlossenes sicherheitsmethodisches Konzept ("Das Qualitätsmerkmal ,Technische Sicherheit‘ – Denkansatz und Leitfaden", VDI (Hrsg.), Beuth Verlag, Berlin, 2016) als gültigen Rahmen für alle Fachdisziplinen vorgelegt. Der Diskurs dieses Denkansatzes und Leitfadens startet gerade. Am Ende ist vorgesehen, allgemein und jederzeit anwendbare Regeln aufzustellen, um Technische Sicherheit zu erzeugen und zu erhalten.
Verdruss in der Zweckgemeinschaft
Dr. Michael Pötzsch, der als Arbeitsgebietsleiter im Fachbereich 3.2 (Gefahrguttanks und Unfallmechanik) bei der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) im Februar in Ruhestand ging, gab einen Einblick in das Zulassungsverfahren von Tankfahrzeugen und -containern. Seitdem die BAM im Jahr 2013 auch für die Baumusterzulassung festverbundener Tanks, sprich Tankfahrzeuge, zuständige Behörde wurde, hat sich hier Einiges verändert. Zuvor lag die Zuständigkeit bei den Bundesländern. Die BAM findet seither in vielen Prüfberichten ungültige Rechtsbezüge, falsche Mindestwanddicken, unzulässige Druckvarianten oder fehlerhafte Anwendungen der Tankhierarchie. "Außerdem sind oft längst abgelaufene Normen genannt, Schweißbescheinigungen fehlen", so Pötzsch.
Im Ergebnis weist die BAM viele Zulassungsanträge, die neben dem Baumusterprüfbericht (mit den Prüfergebnissen) die oft mehrere Ordner umfassende technische Dokumentation und Nachweisführung umfassen, zurück. Die Prüfstelle, die im Auftrag des Herstellers die Baumusterprüfung vornahm, muss dann einen korrigierten Zulassungsantrag vorlegen. "Das kostet viel Zeit und Geld und sorgt für Verdruss sowohl bei den Her- bzw. Antragstellern als auch bei uns als Zulassungsbehörde", so Pötzsch. Denn die BAM sei gemäß Anlage 14 Durchführungsrichtlinien-Gefahrgut (RSEB) angehalten, die eingereichten Antragsunterlagen auf Richtigkeit, Vollständigkeit und Plausibilität zu prüfen. In der Zweckgemeinschaft Hersteller-Prüfstelle-Zulassungsbehörde helfe es letztlich nur, wenn die Hersteller unter Anwendung der aktuell im ADR in Bezug genommenen Normen vorschriftenkonform bauen und die Prüfstelle Baumuster neutral überprüft.
Keine nationalen Sonderwege
Über rechtliche Baustellen in der Gefahrgutlogistik berichtete Emilia Poljakov vom Chemielogistiker Alfred Talke. Zum Beispiel führe die auf innerstaatliche Beförderungen bezogene Anlage 2 der Gefahrgutverordnung Straße, Eisenbahn und Binnenschifffahrt (GGVSEB) dazu, dass für nationale Gefahrguttransporte zum Teil schärfere Vorschriften bestehen, etwa bei der Unterrichtung des Fahrpersonals durch Befüller und Entlader oder bei der Überwachung der Fahrzeuge als nach ADR. Auch die Fahrwegbestimmung nach § 35 GGVSEB sei ein Relikt der früheren deutschen Gesetzgebung und stehe dem Harmonisierungsanspruch des internationalen Gefahrgutrechts entgegen. "Heute erfolgt bei Tankfahrzeugbeförderungen die überwiegende Zahl der Transporte in nicht wanddickenreduzierten Tanks, die vom § 35 ausgenommen sind", so Poljakov. Laut der jüngsten Gefahrgutkontrollstatistik des Bundesamts für Güterverkehr (BAG) entfielen nur 0,1 % der Verstöße auf den Bereich Fahrwegbestimmung. Poljakov abschließend: "Nationale Sonderwege können auf internationaler Ebene zwar Impulse im Sinne einer Vorreiterrolle setzen, sollten aber keine Dauerlösung sein."
Für den Fall der Fälle
Jochen Hackstein von der KA Köln.Assekuranz Agentur gab einen Überblick darüber, was bei einem Gefahrguttransport(unfall) als Bestandteil der Transport- und Verkehrshaftungsversicherung mitversichert ist und was nicht. Der Warenwert und die Frachtkosten seien immer versichert, ebenso wie der entgangene Gewinn, der mit 10 Prozent vom Warenwert angesetzt wird. Anders sieht es aus, wenn es durch die Ware zu einer Betriebsunterbrechung im Lager (kein Bestandteil der Transportversicherung) oder beim Empfänger kommt (mitversicherbar unter hohen Prämien und Selbstbehalten). Während Bergungskosten in der Regel bis zu 10.000 Euro mitversichert sind, sind es fällige Grundwassersanierungen nicht: Hier kann nur die Haftpflichtversicherung des Verursachers herangezogen werden.
Sanierungen sind aufwendig
Dr. Leo Paus, ebenfalls von der KA Köln.Assekuranz Agentur, zeigte auf, welchen Aufwand Bodensanierungen nach Leckagen mit wassergefährdenden Stoffen verursachen können. Das Ausmaß der Bodenkontamination sei von einer Vielzahl von Variablen abhängig, wichigste ist die Durchlässigkeit der Erdoberfläche. Dichte Böden wie Löß lassen flüssige Gefahrgüter nur wenig eindringen. Im ungünstigsten Fall indes sinken lösliche Stoffe, die schwerer als Wasser sind, bis auf die Grundwassersohle hinab und von dort weiter in das Grundgebirge. Paus erklärte kurz die gängigen Sanierungsverfahren: Neben den jeweils relativ kostengünstigen Mietenverfahren (für organische, mit Mikroorganismen abbaubare Schadstoffe) und der Bodenluftabsaugung (für flüchtige Schadstoffe) gibt es die aufwendigere thermische Bodenbehandlung sowie die Bodenwäsche, wo jeweils Rückstände anfallen und zu entsorgen sind. Richtig teuer wird es bei Grundwassersanierungen, wo zunächst die betroffenen Gebiete, die Strömung und dann die optimale Lage für Sanierungsbrunnen zu bestimmen sind.
Risiken durch geeignete Organisation vermeiden
Der am Vorabend der Tagung mit dem 26. Deutschen Gefahrgut-Preis ausgezeichnete Rechtsanwalt Hans-Leo Bock sprach über die wachsende Bedeutung von Compliance in Unternehmen. Für Letztere gelte es heute einerseits, rechtliche Risiken in ihrem Tätigkeitsbereich zu erkennen und durch geeignete Organisation zu vermeiden. Kommt es andererseits dennoch zu einem Gesetzesbruch – in Zusammenhang mit aus dem Unternehmen heraus begangenen Straftaten spricht man auch von Criminal Compliance –, ist ein Krisenmanagement vorzugeben, das die Auswirkungen auf Unternehmen und Mitarbeiter gering hält.
Die Judikative habe bei Ordnungswidrigkeiten und Straftaten immer öfter nicht den unmittelbaren Verursacher bzw. Mitarbeiter im Visier, sondern die Unternehmensspitze, die etwa nach § 130 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) zur "gehörigen Aufsicht" verpflichtet ist, so Bock. Das Unternehmen kann dann entweder mit einer Gewinnabschöpfung (Strafrecht) oder einem Bußgeld (OWiG) belegt werden.
Elektronisches Beförderungspapier: Vorbereitungen laufen
Mit Spannung erwartet wurde der Vortrag von Tagungsleiter Helmut Rein aus dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI), der einen Überblick über die Rechtsfortentwicklung gab. Seit Anfang 2016 darf für Gefahrgutbeförderungen innerhalb Deutschlands ein elektronisches Beförderungspapier verwendet werden. Einheitliche Regelungen dazu hatte das BMVI im Verkehrsblatt (VkBl.) 2015 S. 450 bekannt gemacht. Derzeit, so Rein, würden sich verschiedene Unternehmen darauf vorbereiten, an diesem System teilzunehmen. Auch die Bundesländer richteten sich darauf ein, bei Kontrollen sowie Unfällen/Zwischenfällen Informationen über die speziellen Notrufnummern zu erhalten. Viele Bundesländer hätten dem BMVI bereits Behördentelefonnummern gemeldet, die berechtigt sind, die Sendungsdaten für die gefährlichen Güter abzufragen.
In den internationalen Gremien sind die meisten Entscheidungen über Neuerungen in RID/ADR/ADN 2017 bereits getroffen worden. So werden auf die Anwender z.B. modifizierte Vorschriften für Beförderungen von Fahrzeugen, Maschinen und Motoren zukommen. Auch die Regelungen zu Kühl- und Konditionierungsmitteln in Abschn. 5.5.3 wurden nochmals überarbeitet:
Letzte Vorschriftenänderungen seien laut Rein für alle Verkehrsträger im Laufe dieses Jahres aber noch möglich.
Nah und fern
Wer sich mit Änderungen im Gefahrgutrecht befasst, muss sich gedanklich immer im Hier und Demnächst, aber auch im Später und Danach bewegen. Wie Gudula Schwan, BMVI, die zum einen die neue und strukturell an die GGVSEB angepasste (und just am Vortragstag veröffentlichte) Gefahrgutverordnung See (GGVSee) (BGBl. 2016 I S. 182) vorstellte.
Zum anderen richtete Schwan den Blick in die nahe Zukunft und berichtete über die bei der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) beschlossenen Änderungen für den IMDG-Code, die mit dem Amendment 38-16 in Kraft treten werden und aller Voraussicht nach ab 1. Januar 2017 freiwillig angewendet werden dürfen. Hier stehen u.a. strengere Verpackungsanweisungen, insbesondere geänderte und neue Sondervorschriften (SV) für Verpackungen, ins Haus. Aber auch in Bezug auf Batterien in beförderten Fahrzeugen, Maschinen und Motoren werden verschiedene SV angepasst.
Noch weiter in der Zukunft liegen die angestrebten Regeländerungen in den UN-Modellvorschriften, die 2019 in die Praxis umzusetzen sind: Hier stehen derzeit u.a. Lithiumbatterien, gefährliche Güter in Gegenständen und Maschinen, die Klassifizierung von Speicheranlagen, die Beförderung von Gastanks für Fahrzeuge und Prüfvorschriften für Verpackungen für infektiöse Stoffe der Kategorie A im Fokus.
Die Folgen von Tianjin
Ken Rohlmann, Leiter der Gefahrgutabteilung bei Hapag-Lloyd, beschrieb die Folgen des Unglücks im chinesischen Hafen Tianjin im August 2015, das nach offiziellen Zahlen 173 Todesopfer forderte. An der Katastrophe war ein Mix gefährlicher Güter (u.a. Nitrocellulose, Ammoniumnitrat, Calciumcarbid, Natriumcyanid) beteiligt bzw. dafür ursächlich. Sie befanden sich in viel größeren Mengen als erlaubt und mit zu geringen Abständen voneinander in einem Containerlager.
Das Tianjin-Unglück führte in allen chinesischen Häfen zu panikartigen Reaktionen, welche die Ein- und Ausfuhr von gefährlichen Gütern einschließlich Transshipment (Container wird nach dem Abladen auf ein anderes Schiff verladen) und Transit (Container verbleibt auf dem Schiff für einen späteren Hafen) zumindest stark einschränkten, wenn nicht vollends verboten. Die Reederei Hapag-Lloyd hatte zu dieser Zeit hunderte Gefahrgutcontainer auf ihren Schiffen mit dem Ziel China – diese Container mussten dann oft bereits im Hafen Singapur, spätestens in Hongkong von Bord. "Die Verbote betrafen in dem einen Hafen alle Gefahrgüter, im nächsten dann ganze Gefahrklassen. Und fast täglich änderte sich etwas am Umfang der Verbote", berichtete Rohlmann.
Mit umfassenden, zudem voneinander abweichenden Einschränkungen in Häfen wie Shanghai, Ningbo, Qingdao oder Dalian, die alle zu den Top 15 der weltgrößten Containerhäfen zählen, muss sich die Reederei bis heute herumschlagen. Zum Teil habe jedes Terminal seine eigenen Bestimmungen, so Rohlmann. "Die schwierigen Zustände in den Häfen haben letztlich viele Versender gezwungen, ihre Gefahrgutcontainer nicht mehr als solche zu deklarieren." Dies zeige der starke Anstieg der Verdachts- und bestätigten Fälle durch die hauseigene Sicherheitssoftware Watchdog.
Gut organisiert ist halb versendet
In einem Auto steckt heutzutage nicht nur enorm viel Technik, sondern auch das eine oder andere Gefahrgut: z.B. Aktuator, Druckspeicher, Kältemittel, Airbag und Gurtstraffer, Steuereinheit sowie Gasdruckstoßdämpfer. Dr. Fabian-Alexander Polonius, Gefahrgutbeauftragter von Daimler, gab einen spannenden Einblick in die Gefahrgutwelt des Automobilkonzerns. Er schilderte äußerst kurzweilig, wie das Unternehmen u.a. mit Bewertungsprotokollen und Entscheidungsbäumen dafür sorgt, dass die zu versendenden Gefahrgüter vorschriftenkonform ans Ziel gelangen. Speziell bei Lithiumbatterien, ob neu und intakt oder beschädigt/defekt, sind zahlreiche Aspekte zu beachten.
Wiegen oder rechnen
Hans-Georg Volkenand von der Abteilung Transportsicherheit bei der BASF berichtete über den Stand der Umsetzung der neuen SOLAS-Regelungen (Kapitel VI, Teil A, Regel 2) zur Er- und Übermittlung von Container-Bruttomassen. Ein Vierteljahr vor der Einführung zum 1. Juli 2016 sei der Konzern, der in 50 Länder Seecontainer exportiert, gut vorbereitet. Die BASF bevorzugt bei der Gewichtsbestimmung die Methode 2, d. h. die Addition von Ware, Verpackungen, Ladehilfs- und Sicherungsmitteln sowie Containereigengewicht, da durch die Warenwirtschaftssysteme genaue, verlässliche Stammdaten vorliegen. Wenn dies ausnahmsweise nicht der Fall ist, muss der Container nach Verladung und Versiegelung gemäß Methode 1 komplett verwogen werden. "Die bestätigte Bruttomasse werden wir auf bereits vorhandenen Kommunikationswegen den betreffenden Reedereien zukommen lassen", so Volkenand, ähnlich wie das heute bei der IMO-Erklärung für gefährliche Güter der Fall ist.
Gut gemeint, schlecht zu handhaben
Den beachtenswerten Schlusspunkt – er hätte mehr Beachtung verdient gehabt – setzte Prof. Dr. Norbert Müller von Schenker über Probleme bei multimodalen Transporten, illustriert mit Beispielen aus der täglichen Praxis. Da oft "Keine Regel ohne Ausnahme" gelte, stünden Freistellungen, "Sonderbarevorschriften" und die Regelungen über freigestellte bzw. begrenzte Mengen im Fokus. Sie seien gut gemeint, aber schlecht zu handhaben. "Den Nutzen haben die einen, den Aufwand die anderen", sagte Müller.
So würden RID/ADR oft von der Pflicht befreien, zu kennzeichnen und zu dokumentieren – IMDG-Code/IATA-DGR hingegen nicht. Da Versandstücke aber gemäß den Vorschriften für den See- und Luftverkehr gekennzeichnet werden, um sie weltweit befördern und verkaufen zu können, fehle im europäischen Landverkehr dann die zugehörige Dokumentation. Das führe zu Verwirrung in der Logistik und bei Kontrollen (regulärer Gefahrguttransport?).
Müller hatte auch einen Vorschlag im Gepäck, wie das Problem zu lösen ist: Ein neuer Unterabschn. 5.4.1.6 ADR/RID, wonach eine Erklärung über die genutzte Freistellung in das Beförderungspapier aufzunehmen wäre.
(aus: gela 04/16, www.gefaehrliche-ladung.de)
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