Die Chemisch-pharmazeutische Industrie blickt auf ein besonders schwieriges Jahr zurück
(ur) „Die Lage ist dramatisch“, sagte Präsident Markus Steilemann bei der Jahrespressekonferenz des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI) am 15. Dezember 2022 in Frankfurt. „Die enormen Energiepreise, aber auch die Preissteigerungen von Rohstoffen und Vorprodukten machen der industriellen Basis unseres Landes schwer zu schaffen. Dazu kommt, dass unsere Unternehmen durch die stark vom Gaskommissionsvorschlag abweichende Umsetzung der Strom- und Gaspreisbremse voraussichtlich kaum oder nicht entlastet werden. Vor allem unsere Mittelständler kämpfen um ihre Zukunft.“
Der enorme Energie- und Rohstoffkostendruck führte zwar zu einem kräftigen Anstieg der Produktpreise, der die chemischen Erzeugnisse im Gesamtjahr um 22 Prozent gegenüber dem Vorjahr verteuerte. Aber die Kosten stiegen stärker als die Verkaufspreise, sodass laut einer aktuellen Mitgliederbefragung des VCI mittlerweile bei rund 80 Prozent der Unternehmen die Gewinne zurückgehen. Jedes vierte Unternehmen macht bereits Verluste. Insbesondere der Mittelstand ist betroffen.
Zwei Drittel der Mitgliedsunternehmen machte im November der Auftragsmangel zu schaffen. Über 25 Prozent der Unternehmen sahen ihre Geschäftstätigkeit dadurch sogar stark beeinträchtigt. Seit einigen Monaten sinkt der Branchenumsatz. Dennoch lag der Umsatz in Deutschlands drittgrößter Branche im Gesamtjahr mit 266,5 Milliarden Euro noch rund 17,5 Prozent höher als 2021. Das Umsatzplus war jedoch allein preisgetrieben. Die Verkaufsmengen waren hingegen rückläufig.
Um größere Verluste zu vermeiden und um Energie – insbesondere Gas – einzusparen, haben viele Unternehmen ihre Produktion gedrosselt. 40 Prozent der Unternehmen geben an, die Produktion bereits zurückgefahren zu haben oder dies in Kürze tun zu wollen. Ein Teil davon wurde an ausländische Standorte verlagert. Bei fast jedem vierten Unternehmen ist die Verlagerung konkret geplant oder bereits umgesetzt. Jedes fünfte Unternehmen musste wegen der Energiekrise zudem Aufträge ablehnen.
Chemieproduktion geht um 10 Prozent zurück
„Weil die Chemie mit angezogener Handbremse produzieren muss, werden einzelne Grundstoffe bereits knapp“, stellt VCI-Präsident Markus Steilemann fest. Rund 50 Prozent der Mitgliedsunternehmen berichteten im November von Lieferschwierigkeiten. Es fehlt unter anderem an Pigmenten, Carbon- und Glasfasern, Salzsäure, Natronlauge, technischem CO₂, organischen Silikonverbindungen oder Eisenchlorid. Die Liste wird stetig länger, erste Wertschöpfungsketten reißen.
„Chemie steckt in fast allen Gegenständen des täglichen Bedarfs. Eine wirtschaftliche Schieflage der Branche würde zu Versorgungsengpässen in allen Lebensbereichen führen“, so Steilemann weiter. Die Produktion sank im Vergleich zum Vorjahr um 6 Prozent. Rechnet man das Pharmageschäft heraus, lag der Rückgang sogar bei rund 10 Prozent. Einen ähnlich starken Einbruch bei der Produktion gab es zuletzt 2009 als Folge der Weltwirtschaftskrise.
Die Zahl der Beschäftigten in der Chemie- und Pharmabranche verbleibt im Gesamtjahr mit 475.500 auf stabilem Niveau.
Ausblick 2023: Keine Besserung der Lage
Die Herausforderungen der Branche werden auch im kommenden Jahr bleiben: Auftragsmangel, gestörte Lieferketten und hohe Energiekosten. Nach derzeitigem Stand rechnet der VCI für 2023 mit einem weiteren kräftigen Produktionsrückgang in der Chemisch-pharmazeutischen Industrie. Auch der Umsatz wird sich aller Voraussicht nach negativ entwickeln. Im Inlandsgeschäft erwartet der Verband wegen der Industrierezession einen kräftigen Rückgang. Aufgrund der äußerst volatilen Lage wird über diese Einschätzung hinaus keine quantitative Prognose abgegeben.
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