Spedition – Einige Besonderheiten dieser Branche, speziell beim Sammelgut, finden sich nicht unbedingt im Gefahrgutrecht wieder. Ein Anliegen der Verbands-Lobbyarbeit: Wissenstransfer in Richtung Gesetzgebung.
(Frank Huster, DSLV, Bonn) Die Speditionsbranche und ihre Prozesse an sich zeichnen sich durch ein hohes Maß an Heterogenität und Komplexität aus. Dabei ist die Spedition nicht das Unternehmen, das mit Lkw Güter – gefährlich oder nicht – von A nach B transportiert. Sie kann es aber sein, wenn sie einen eigenen Fuhrpark betreibt. Doch die wesentliche Aufgabe des Spediteurs ist es, Güterversendung im Auftrag eines Dritten (meist Industrie oder Handel) zu organisieren. Das schließt das Auftragsmanagement, die Dokumentenabwicklung, die Verzollung, die Befrachtung von fremdem Frachtraum, darunter Lkw, Eisenbahnen, See- und Binnenschiffe sowie Flugzeuge, Umschlag, Lagerung, Warenkommissionierung, also die gesamte nationale und internationale Logistik ein.
Dabei sind Tank- und Bulkbeförderungen zu unterscheiden von Transporten so genannter Packstücke, die ihre Entsprechung im Gefahrgutrecht in der Definition für Versandstücke finden. Mehrere Versandstücke können eine Sendung sein, die – je nach Gewicht und Volumen – als Stückgut, Teilladung oder Komplettladung versendet werden kann. Speziell gefährliche Güter in speditionell betriebenen Stückgutsystemverkehren, dem Spediteursammelgut, sind eine echte Herausforderung.
Stückgut im Netz
Stückgutnetze dienen der flächendeckenden, grenzüberschreitenden Versendung und Belieferung verpackter Ware unterschiedlicher Versender an zahlreiche Empfänger. Pro Jahr organisieren Speditionen – Kurier-, Express- und Paket-Dienste (KEP-Dienste) nicht mitgerechnet – allein in Deutschland die Beförderung von knapp 200 Millionen Einzelsendungen im landgebundenen Stückgutverkehr. Monetär ausgedrückt entspricht dies einem Umsatz von 9,7 Milliarden Euro.
Stückgutsendungen sind verkehrsökonomisch und ökologisch nur zu bewältigen, wenn sie im Rahmen eines Netzsystems konsolidiert als Spediteursammelgut zu einem Hauptlauf über größere Strecken zwischen zwei Knotenpunkten gebündelt transportiert werden. Um die Auslastung des Netzes und der Fahrzeuge zu optimieren, werden Sendungen im Nahverkehr mit eigenen oder Fahrzeugen Dritter an verschiedenen Beladestellen geladen, in Speditionsanlagen, Depots oder Hubs umgeschlagen, um dort für eine Fernverkehrsdestination gebündelt und innerhalb weniger Stunden in einen Fernverkehr-Lkw geladen zu werden. Am Ankunftsort wird die gesamte Ladung in einer Speditionsanlage entladen und wieder auf Nahverkehrsfahrzeuge verladen, um sie in der Regel innerhalb eines Tages regional zu verteilen.
Äußerst heterogenes Sendungsaufkommen
Stückgutbeförderungen als Sammelladungen sind organisatorisch und frachtrechtlich zu unterscheiden von Ladungsverkehren, die zwischen Versender und Empfänger direkt und ohne weitere Umladungen erfolgen.
Stückgutnetze sind charakterisiert von einem in Art und Menge äußerst heterogenen Sendungsaufkommen mit einem Durchschnittsgewicht von etwas mehr als 250 Kilogramm pro Sendung. Der Anteil der Gefahrgutsendungen am gesamten Stückgutaufkommen liegt in deutschen Netzen bei durchschnittlich nur drei Prozent. Innerhalb der Gruppe der gefährlichen Güter setzt sich der heterogene Charakter fort. Nahezu jede Gefahrgutklasse mit Ausnahmen von ausgewählten Stoffen der Klassen 1, 6.2 und 7 in verschiedenen Verpackungsarten, wie Freigestellten Mengen (Excepted Quantities – EQ), Begrenzten Mengen (Limited Quantities – LQ), Kartons, Fässern und IBC usw., ist Bestandteil des Sendungsaufkommens, für deren Handhabung die Systembetreiber im Vergleich zu konventionellen, nicht gefährlichen Sendungen einen überproportional hohen Aufwand betreiben müssen, aber hingegen keine höheren Preise erzielen können.
Da eine Gefahrgutsendung mehrere Schnittstellen durchläuft, ist es von erheblicher Bedeutung, dass sich sämtliche Beteiligte im Gefahrgutrecht als Normadressaten in einem definierten Rahmen von Verboten und Geboten und einem klar umrissenen Pflichtenkreis wiederfinden.
Oft mehr als eine Pflicht
Bei der Beförderung gefährlicher Güter im Rahmen von klassischen Sammelgutverkehren übernimmt die Spedition als Auftraggeber von Beförderern in der Regel die Rolle des Absenders nach GGVSEB. Denn der Einsatz von Fremdfahrzeugen durch die Beauftragung von Frachtführern ist vor allem üblich bei regionalen begrenzten Nahverkehren.
Als Betreiber von Speditionsanlagen und Abgangsdepots agiert die Spedition zusätzlich sowohl als Verlader in seinen verschiedenen Ausprägungen, wie sie in § 2 GGVSEB definiert sind, als auch als Entlader. Kommen eigene Fahrzeuge zum Einsatz, ergeben sich für die Spedition weitere Pflichten in ihrer Eigenschaft als Beförderer.
Just-in-time-Bedarfsdeckung und bestandslose Warenverteilung haben das Bestellverhalten von Industrie und Handel in den vergangenen Jahren grundlegend verändert. Bestellmengen werden kleiner, Wiederbeschaffungsintervalle verkürzen sich, traditionelle Lagerfunktionen werden aufgegeben. Dadurch steigen in zunehmendem Maße Klein- und Stückgutverkehre ebenso wie der Anteil der KEP-Dienste. Die Stückgutlogistik ist also Teil dynamischer Güter- und Verkehrsmärkte, die mit klassischen und einfachen Absender-Beförderer-Empfänger-Beziehungen, auf welche das aktuelle ADR einen Großteil seiner Regelungsinhalte gründet und die bestenfalls zur Darstellung von Ladungsverkehren geeignet sind, nicht beschrieben werden kann.
Logistische Konzepte können und dürfen natürlich nur umgesetzt werden, wenn sie mit dem durch gesetzliche Anforderungen definierten Schutzzielen und Sicherheitsniveaus im Einklang stehen. Doch darf die Innovationsdynamik der Logistik – in organisatorischer und technischer Hinsicht – nicht durch ein dogmatisch starres Gefahrgutrecht beschränkt werden. Dies gilt insbesondere auch für die – wie in jeder Branche – wachsende elektronische Datenübermittlung zwischen den Handelnden einer Lieferkette.
An die logistische Praxis anpassen
Für die turnusmäßige Überarbeitung der GGVSEB hat der Deutsche Speditions- und Logistikverband (DSLV) deshalb mehrfach vorgeschlagen, an die logistische Praxis angepasste Änderungen ausgewählter Pflichten vorzunehmen, ohne dadurch unsachgemäß Pflichten auf Dritte abzuwälzen oder das Sicherheitsniveau abzusenken. Leider überwiegend ohne Erfolg.
Exemplarisch sei dies erläutert an den GGVSEB-Pflichten des Verladers, der im Straßenverkehr gemeinschaftlich und gleichrangig mit dem Fahrer die Vorschriften über die Beladung und die Handhabung zu erfüllen hat. Dies ist sachlich gerechtfertigt und zumutbar in den Fällen, in denen der Verlader, wie er im ADR definiert ist, selbst verpackte gefährliche Güter auf ein Fahrzeug oder in einen Container verlädt. Da der deutsche Gesetzgeber die Begriffsbestimmung des Verladers nach ADR in der GGVSEB aber zusätzlich auch auf solche Unternehmen erstreckt, die gefährliche Güter lediglich zur Beförderung bereitstellen, diese aber nicht selbst verladen, sind die tatsächlichen Einwirkungsmöglichkeiten der dort definierten Unternehmen auf die Umsetzung der Vorschriften zur Be- und Entladung nicht nur äußerst begrenzt, sondern praktisch oftmals gar nicht umsetzbar.
Hieraus entstehende Sanktionen beschränken sich aber nicht nur auf das Gefahrgutrecht. Unabhängig von zahlreichen bekannten Fällen, in denen bereits Bußgelder verhängt wurden, obwohl zum Beispiel Ladungssicherungsverstöße dem Verlader in tatsächlicher Hinsicht nicht vorwerfbar waren, nehmen inzwischen weitere vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) erlassene Rechtsvorschriften außerhalb des Gefahrgutrechts die Verladerdefinition nach GGVSEB nun unreflektiert in Bezug und knüpfen hieran weitere Pflichten und Sanktionen. Dies gilt zum Beispiel für den Katalog der "schwersten Verstöße" im Zusammenhang mit der Europäischen Verordnung über gemeinsame Regeln für die Zulassung zum Beruf des Kraftverkehrsunternehmens und der Zuverlässigkeit des Verkehrsleiters.
Schaden vergrößert
Die Inbezugnahme einer fehlerhaft angelegten Definition in einer Rechtsvorschrift durch eine andere Rechtsvorschrift vergrößert den Schaden. Im beschriebenen Fall werden Mitarbeiter solcher Unternehmen, die unter die erweiterte Begriffsbestimmung der GGVSEB für Verlader fallen, als Resultat von Fehlhandlungen Dritter jetzt nicht nur mit Bußgeldern nach GGVSEB bedroht, sondern können zusätzlich ihre Eignung als Verkehrsleiter verlieren. Die Folgen können für diesen Personenkreis berufsgefährdend und existenzbedrohend sein.
Ähnliches drohte auch durch die Reform der Fahrerlaubnis-Verordnung. Erst nach Intervention – man könnte auch sagen Aufklärung – durch die betroffenen Verbände soll die Regelung nun auf den (neu geschaffenen) "tatsächlichen Verlader" beschränkt werden. Diese Wortschöpfung belegt unter anderem auch die fehlende Bereitschaft einiger Bundesländer, sich Kenntnisse praktischer Abläufe anzueignen.
Es ist dringend geboten, die GGVSEB-Definition für den "Verlader" zu überdenken und sich an die ursprüngliche Begriffsbestimmung des ADR als international in 48 Staaten harmonisiertem Recht anzupassen; zumindest aber sollten die Pflichten sachgerechter als bisher zugeordnet werden. Dies wird zumindest jetzt in einer eigens hierfür gegründeten Arbeitsgruppe näher beleuchtet.
Harmonisierung ist notwendig
Das Gefahrguttransportrecht aktiv mitzugestalten, ist vor allem durch eine direkte Beteiligung der Wirtschaft in den Gremien der Vereinten Nationen erfolgversprechend. Ein solcher Erfolg erfährt allerdings immer dann einen Dämpfer, wenn grenzüberschreitende Harmonisierungsbemühungen durch nationale Ergänzungen oder – fast noch unangenehmer – durch regional unterschiedliche Auslegungen unterwandert werden.
Der DSLV und seine internationale Organisation, der Weltspeditionsverband FIATA, haben das übergeordnete Ziel der möglichst globalen Harmonisierung allein schon deshalb immer unterstützt, weil ihre Mitglieder international und verkehrsträgerübergreifend operieren. Insofern sind harmonisierte Regelwerke, die Klassifizierungs-, Verpackungs- und Kennzeichnungsgrundsätze in allen Vertragsstaaten und für alle Verkehrsträger festlegen, wirtschaftsfreundlich und erhöhen zugleich die Sicherheit.
Harmonisierung hat aber auch ihre Grenzen. Diese sind vor allem dort zu ziehen, wo organisatorische und technische Spezifika einen Verkehrsträger charakterisieren. Vom UN Sub-Committee of Experts on the Transport of Dangerous Goods festgelegte Anforderungen des Gefahrgutrechts, die Ladungsverkehre im Visier haben, können nicht vorbehaltlos in das für den Straßengüterverkehr maßgebliche Regelwerk, das ADR, übertragen werden.
So wird auch künftig nur der Lkw Güter, darunter auch gefährliche, in der Fläche verteilen können. Die eingangs beschriebene Sammelladung ist charakteristisch für regionale Lkw-Umläufe mit Stopps an mehreren Be- und Entladestellen, die in den UN-Modellvorschriften in der Regel nicht berücksichtigt werden.
Die 2013 in Kraft getretenen Vorschriften für die Beförderung von Versandstücken, die Kühl- oder Konditionierungsmittel enthalten, sind ein gutes Beispiel. Sie richten ihren Schutzzweck vor allem auf große Mengen, die in Langstreckenverkehren transportiert werden, aber sicher nicht auf regionale Verteilerverkehre, bei denen Versandstücke mit Kühlmitteln, die erst nach längerer Zeit erstickende Gase emittieren können, sich nur einen kurzen Zeitraum in kleinen Mengen auf der Ladefläche befinden. Die vorbehaltlose Übernahme des Abschnitts 5.5.3 aus den UN-Modellvorschriften in das ADR drohte, erhebliche praktische Probleme im Landverkehr zu erzeugen. Dies wurde von allen Beteiligten zunächst übersehen und musste erst im Nachgang durch einen erneuten Beschluss auf der Frühjahrssitzung der Gemeinsamen Tagung für ADR/RID 2015 revidiert werden. Dass das BMVBS für Deutschland seine Bereitschaft erklärt hat, eine Multilaterale Vereinbarung zu zeichnen, die es zulässt, die geänderte Regelung im Vorwege anzuwenden, ist zu begrüßen.
Systematische Abweichung bereitet Probleme
Doch es ist vor allem die systematische Abweichung des Abschnitts 5.5.3 von der eigentlichen Struktur des ADR, die unserer Branche die eigentlichen Probleme bereitet. Der neue Abschnitt ist exemplarisch für eine Tendenz, welche das Gefahrgutrecht inzwischen überschwemmt: "Nicht-Fisch-nicht-Fleisch"-Vorschriften für die Beförderung gefährlicher Güter, die unter bestimmten Konditionen von einigen, aber nicht von allen Vorschriften befreit ist.
Dieses "Zwischenniveau" von Regelungen mag der verladenden Wirtschaft aus Industrie und Handel von Nutzen sein, ist aber für den Logistiker ein zunehmendes Problem. Es beginnt bei den LQ, für die inzwischen große Teile des ADR gelten, darunter die Unterweisungspflicht für Mitarbeiter, die Kennzeichnungspflicht für Fahrzeuge und Container für Ladungsmengen größer acht Tonnen sowie Zusammenladeverbote, die aber nach wie vor ohne Beförderungspapier befördert werden dürfen. Um sie in Stückgutnetze vorschriftenkonform einspeisen zu können, bedarf es einer aufwendigen Nacherfassung durch den Logistikdienstleister.
Des einen Freud, des anderen Leid!
Daneben existieren weiter Ausnahmevorschriften für EQ ebenso wie Sondervorschriften. Ein Beispiel: Gemäß Sondervorschrift 658 unterliegt die Beförderung von UN 1057 Feuerzeuge mit Ausnahme einiger weniger LQ-Vorschriften in Kapitel 3.4 nicht dem Regelwerk des ADR. Dies unter der Voraussetzung, dass jedes Versandstück nicht mehr als zehn Kilogramm brutto wiegt. Die Gesamtbruttomasse pro Fahrzeug darf 100 Kilogramm nicht überschreiten. Nun stellt sich für den Sammelgutspediteur die berechtigte Frage, wie er diese relevanten Grenzdaten ermittelt. Denn ein ADR-Beförderungspapier mit Gewichtsangaben liegt nicht vor. Was als Erleichterung für den Versender gedacht ist, erhöht den Aufwand bei der Logistik.
Hinzu kommt noch ein weiteres Problem: Diese Versandstücke tragen lediglich, aber immerhin – in einer beliebigen Amtssprache des ADR und wie es in der Vorschrift heißt – "deutlich und dauerhaft sichtbar" die UN-Nummer 1057, ergänzt um den Zusatz "FEUERZEUGE". Man darf es durchaus als Folge einer erfolgreichen Mitarbeiterunterweisung werten, wenn dieses Versandstück in einem Stückgutterminal als nicht vorschriftenkonform identifiziert und zunächst aus dem laufenden Umschlagprozess aussortiert wird. Denn es trägt neben der UN-Nummer als eindeutigen, ersten Indikator für eine Gefahr weder einen Gefahrzettel noch ein LQ-Kennzeichen. Vorschriftenkonform, aber durchaus verwirrend. Dies geschieht in drei von zehn Fällen.
Es gibt im ADR inzwischen zahlreiche Variationen von Verpackungskennzeichnungen, die auf eine Gefahr hindeuten, ohne dass für den Betrachter eindeutig ablesbar wäre, welche Folgehandlungen aus dieser Kennzeichnung für den Transport resultieren.
Sofern Mengengrenzen als Schwelle für die Anwendung weiterer Vorschriften dienen, kann der Spediteur diese nur umsetzen, wenn er hierüber eine zusätzliche schriftliche Information, mithin ein Beförderungspapier auf physischem oder elektronischem Wege übermittelt bekommt. Doch genau hiervon möchte der Auftraggeber befreit werden, denn er übergibt aus seiner Sicht ja nur kleine und deshalb mindergefährliche Mengen. Dass der Spediteur diese mit anderen Gefahrgütern auf einer Ladeeinheit in einer Sammelladung zusammenführt, um den Transport effizient und kostenoptimal abzuwickeln, liegt außerhalb der Betrachtung des Auftraggebers und offensichtlich auch des Regelsetzers.
(aus: gela 05/13, www.gefaehrliche-ladung.de)
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