Instandhaltung – Zu Besuch in einer Kesselwagenwerkstatt: Hierhin kommen die Wagen nach vier, sechs, acht oder zwölf Jahren. Die tatsächliche Laufleistung spielt, weil sie nicht erfasst wird, kaum eine Rolle.
(skl) Einmal täglich rollt ein Zug mit reparaturbedürftigen Waggons auf das Gelände des Fahrzeugwerks Brandenburg (FWB). Die Werkstatt kann den Zug auf seiner letzten Meile vom Rangierbahnhof der Stadt Brandenburg ins Werk selbst fahren, dank der Lizenz als Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU). Zusammengestellt wird der aus vielen Wagengattungen wie Kessel-, Schüttgut-, Flach- und Containertragwagen bestehende "Mischzug" in Seddin bei Potsdam, wo sich eine der wichtigsten Zugbildungsanlagen Ostdeutschlands befindet.
Alle Kesselwagen kommen bei FWB auf einen extra beaufsichtigten Teil des weitläufigen Werksgeländes, das rund 30 Kilometer Gleisstrecke umfasst. "Wir führen dann zunächst die eisenbahntechnische Eingangsuntersuchung durch", so FWB-Betriebsleiter Dieter Rupprecht. Dann wird – quasi wie in jeder Kfz-Werkstatt – ein Kostenvoranschlag gemäß Preisliste erstellt. Der geht zum Einen an den Wagenmieter, der – handelt es sich um einen Kesselwagen – die für die Reparatur in der Regel notwendige Innenreinigung zahlt. Zum Anderen geht das Angebot natürlich an den Wagenhalter, der die Instandhaltung an sich zahlt – es sei denn, es liegt ein Schaden vor, der eindeutig dem Mieter zuzuordnen ist.
"Wir finden oft Gegenstände, die definitiv nichts im Auslauf eines Kesselwagens zu suchen haben, also in den Wagen gefallen sind", erklärt Rupprecht. Beschädigte Bodenventile gehören ohnehin zu den häufigsten Mängeln, allein weil die Dichtungen verschleißen und auszutauschen sind. Auch für Reparaturen von Bodenventilen müsse der gesamte Kesselwagen aus Gründen des Arbeits- wie des Explosionsschutzes zuvor gereinigt und gasfrei gemacht werden, so Rupprecht. Letztlich erfolgt nach der Reparatur – wie auch bei der alle vier Jahre gem. RID durchzuführenden Kesselprüfung – immer eine Dichtheitsprüfung.
Anders als bei Reinigungen von Straßentankfahrzeugen zieht eine Kesselwagenreinigung in der Regel eine Reparatur/Instandsetzung nach sich, sie geschieht also nur selten aufgrund eines Produktwechsels. Bei FWB – das etwa auf halber Strecke zwischen den beiden großen Raffinierien Ostdeutschlands – Schwedt und Leuna – liegt, laufen überwiegend Mineralölkesselwagen auf, in denen ein (Wagen-)Leben lang immer dasselbe Produkt gefahren wird. Chemiekesselwagen, die von oben be- und entladen werden, sind die Ausnahme, auch weil im Einzugskreis wenig Chemieindustrie ansässig ist. "Unsere Reinigungsliste umfasst dennoch immerhin zirka 30 Stoffe aus den Gefahrklassen 2, 3, 4, 5, 6.1, 8 und 9, darunter auch Benzol, Wasserstoffperoxid oder Salpetersäure", sagt Rupprecht. Bei Anfragen, die Stoffe außerhalb dieser Liste tangieren, sei eine Nachgenehmigung der nach Bundesimmissionschutzgesetz zugelassenen Reinigungsstrecke möglich. Nach jeder Reinigung wird ein Reinigungsdokument ausgestellt. Dort sind das Reinigungsverfahren (etwa Hochdruck-Spülkopf), das Reinigungsmittel (Säure/Lauge), die Reinigungsdauer und der Reinheitsgrad angegeben.
Instandhaltung in Intervallen
Der Großteil der von FWB abgearbeiteten Aufträge läuft im Rahmen fester Instandhaltungsintervalle ab, auch wenn der Betrieb ein mobiles Team für (kleinere) Unterwegsreparaturen losschicken kann. Die Tanks von Kesselwagen sind alle vier Jahre, das Untergestell alle sechs Jahre (abwechselnd Zwischen- und Hauptprüfung) und die Radsätze alle zwölf Jahre (oder nach 600.000 Kilometern) von Grund auf zu prüfen. "Viele Halter kombinieren die umfangreichen Prüfungen miteinander", so Rupprecht, etwa die Untergestellrevision nach zwölf Jahren mit der Kesselprüfung.
Wenn ein Bahnwagen turnusgemäß in die Werkstatt kommt, dann dauert das unabhängig vom tatsächlichen Umfang der Reparaturarbeiten zwei bis drei Wochen, im Regelfall sind auch die Mietverträge nach den Instandhaltungsintervallen ausgerichtet, d.h. ein Wagen wird danach oft neu vermietet. Richtig teuer kann es für den Halter hingegen werden, wenn ein Wagen wegen eines Schadens ungeplant ausfällt, wenn dieser unter Umständen sogar vor dem eigentlichen Entladeort abgeladen werden und zwecks Reparatur eine weite Strecke im Einzelwagenverkehr mit vielen Rangiervorgängen zurücklegen muss.
Standardwerk für die Branche
"Die Arbeitsgrundlage für unsere Reparaturen und Revisionen ist, außer bei unserem Großkunden AAE, der VPI-Instandhaltungsleitfaden", sagt Rupprecht. Der Leitfaden der Vereinigung der Privatgüterwagen-Interessenten (VPI) hat sich inzwischen zum Standardwerk der Branche entwickelt. Hintergrund ist, dass sich das Verhältnis zwischen Wagenhaltern und Bahnen grundsätzlich gewandelt hat. Der 2006 eingeführte Allgemeine Verwendungsvertrag (AVV) stellte das Rechtsverhältnis zwischen Bahnen und Haltern auf eine europaweit einheitliche Basis. Zeitgleich wurde auch das alte Einstellregime abgeschafft, die privaten Wagenhalter wurden allein für die Instandhaltung ihrer Wagen verantwortlich, während sie zuvor die Instandhaltungsregelwerke der Staatsbahnen nutzten, in Deutschland das der Deutschen Bahn.
Laut VPI-Geschäftsführer Jürgen Tuscher stand die Branche damals vor einer grundsätzlichen Frage: "Entwickelt jeder Wagenhalter sein eigenes Regelwerk oder gelingt es der Branche, eine gemeinsame Empfehlung für die Instandhaltung von Güterwagen zu schaffen? Es kam – auch aus Solidaritätsgründen – zur gemeinsamen Lösung, dabei hätten die Großen der Branche wie VTG oder GATX sicher ihre eigenen Regelwerke schaffen können." Seit seiner 2007 erschienenen Erstfassung habe sich der VPI-Instandhaltungsleitfaden zu einem Erfolgsprojekt entwickelt. Inzwischen sind mehr als 320 Exemplare verkauft worden: etwa die Hälfte ging zum ermäßigten Preis an VPI-Mitglieder, die anderen gut 150 an Nichtmitglieder (Werkstätten und Ausland). "Der Preis von derzeit 5.000 Euro ist immer noch um ein Vielfaches niedriger, als das was die Deutsche Bahn verlangt, zudem ist der Leitfaden eine Stand-Alone-Lösung ohne Einbettung in irgendwelche Konzern-Richtlinien", so Tuscher. Derzeit gebe es aber Harmonisierungsbestrebungen zwischen DB und VPI, um für Privatgüterwagen und bahneigene Wagen mittelfristig wieder einen übereinstimmenden Standard zu definieren.
Schon längere Zeit arbeiten DB und VPI in der so genannten Fachtechnischen Begutachtung von Werkstätten zusammen. "Dabei wird geprüft, was die Werkstätten tatsächlich zu leisten imstande sind, wie vor Ort konkret gearbeitet wird", so Tuscher. Auch FWB unterzieht sich regelmäßig den Begutachtungen durch VPI-Experten, um die fachtechnische Freigabe zu bekommen. Seit 2012 können Werkstätten in "Kombi-Audits" neben der Fachtechnischen Begutachtung auch die formellere Zertifzierung nach der EU-Verordnung 445/2011 durchführen lassen, dadurch wird der Aufwand für alle Beteiligten geringer. Gemäß der EU-Verordnung musste bis 31. Mai 2013 jeder Halter für seine Wagen eine für die Instandhaltung zuständige Stelle (Entity in Charge of Maintenance, ECM) schaffen und zertifizieren lassen. Bestimmte Funktionen dieser ECM sind delegierbar, etwa die Instandhaltungserbringung an eine Werkstatt.
Halterzertifizierung
Nachdem die ECM-Verordnung die Branche erst vor große Probleme stellte, sind inzwischen fast alle Wagenhalter zertifiziert. Die deutschen Halter wichen dafür zumeist auf Akkredierte Stellen in Nachbarstaaten aus, da das Prozedere in Deutschland, wo das Eisenbahn-Bundesamt als nationale Sicherheitsbehörde selbst zertifiziert, noch langwieriger und teurer ist. Die alle fünf Jahre zu wiederholende ECM-Zertifizierung belastet die Branche dennoch sehr. "Es ist derzeit kein Sicherheitsgewinn erkennbar", so Tuscher. Die Tätigkeiten in der Instandhaltung seien nun immerhin besser dokumentiert.
Eine bessere Dokumentation und Rückverfolgbarkeit in der Instandhaltung eines Kesselwagens insbesondere hinsichtlich seiner gut austauschbaren Komponenten wie Radsätze, Bremsen oder Armaturen wurde von der Branche selbst mit "VPI08" realisiert. Mit diesem Modul des Instandhaltungsleitfadens ist der elektronische Austausch von rund 1.500 Wagendaten im XML-Format zwischen den Beteiligten möglich. Das Modul wird ständig an den Leitfaden angepasst, der seinerseits fortwährend von einem Expertenteam überarbeitet wird (derzeit auf Version 3.0), nicht zuletzt durch Änderungsvorschläge von Nutzern. Die Änderungen werden von einem Lenkungskreis – bestehend aus Technischer Kommission der VPI, der VPI Österreich und dem Schweizer Pendant VAP – abschließend überprüft.
Weniger erfolgreich läuft die Verbesserung der Laufleistungserfassung von Güterwagen. Gemäß dem privatrechtlichen AVV sind die EVU eigentlich verpflichtet, den Haltern mitzuteilen, wieviele Kilometer ein Wagen in einem bestimmten Zeitraum absolviert hat. Damit könnte die Instandhaltung nicht nur starr an den erwähnten festen Intervallen, wie sie auch der VPI-Leitfaden noch ausweist, sondern mehr an der tatsächlichen Beanspruchung ausgerichtet werden. "Der Leitfaden ist ja auch immer nur als Empfehlung zu verstehen, die spezifischen Regeln muss ein Halter immer noch selbst festlegen, etwa wenn Wagen hochkorrosiven Umgebungen ausgesetzt sind wie bei Salzverkehren", erklärt Tuscher.
Doch Laufleistungsdaten liefern die großen Bahnen indes nur auf Anfrage, die kleinen EVU verweigern sich völlig. "Mittlerweile wünschen wir uns hier fast eine gesetzliche Vorgabe durch die EU."
(aus: gela 01/14, www.gefaehrliche-ladung.de)
Rund um Gefahrgut bestens bedient: Der Newsletter Gefahrgut bringt Sie wöchentlich auf den aktuellen Stand mit top-aktuellen Meldungen von gefahrgut.de. Tipps zu unseren Produkten und Veranstaltungen sowie hilfreiche Hintergrundinfos erhalten Sie monatlich in einer Spezial-Ausgabe. So bleiben Sie in Sachen Gefahrgut auf dem Laufenden!