Neubewertung – Die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) hat ihre Verfahren für die Seeverkehrszulassung von Druckgefäßen überarbeitet, mit Augenmerk auf die nachträgliche Zulassung alter Gefäße.
(Manfred Spode, BAM, Berlin) Die Gasefirmen sind die größten Betreiber von Gasflaschen im internationalen Transport. Bei ihnen sind große Mengen an Druckgefäßen vorhanden, die für den Landverkehr zugelassen sind, für die aber keine See-Zulassung nach IMDG-Code besteht (wohl aber langjährige Erfahrungen mit ihrem sicheren Betrieb). Aufgrund der wachsenden Internationalisierung der Gasefirmen und damit auch der Internationalität des so genannten "Flaschenparks" stieg das Volumen im internationalen Gefahrguttransport in den letzten Jahren an. Gleichzeitig traten besonders im Mittelmeerraum Unwägbarkeiten im Landtransport durch politische Krisen auf. Daraus ergab sich insgesamt ein Modal Shift weg vom Land-, hin zum Seeverkehr. Die Verschiebungen ließen auch die Vorschriften im internationalen Transport deutlicher werden. So scheint das Bewusstsein bei den Kapitänen, Hafen- und Seebehörden – insbesondere rund um das Mittelmeer – soweit gestiegen zu sein, dass die explizite Seeverkehrszulassung als solche zunehmend nachgefragt wird.
Mit der Zahl verschiedener Zulassungen (in Bezug auf Baureihen und Verkehrsträger) im Flaschenpark wächst die logistische Herausforderung, betriebsintern die Gefäße ihren verschiedenen Transportmöglichkeiten entsprechend einzusetzen. Wird nun ein Kontingent von Druckgefäßen für den Transport zur See gesucht, wäre die Neuanschaffung von Druckgefäßen mit IMDG-Code-Zulassung eine direkte Kostenbelastung, wenn nicht auch das insgesamt zu transportierende Volumen im gleichen Umfang zunimmt. Um das benötigte Kontingent an Flaschen mit IMDG-Code-Zulassungen ohne eine Vergrößerung des Flaschenparks zu ermöglichen, hat die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) ihr Verfahren zur Zulassung von Druckgefäßen nach IMDG-Code zunehmend auf die Betrachtung von Druckgefäßen ausgerichtet, die bisher nur eine Landverkehrszulassung aufweisen. Dies schließt ausdrücklich Baumuster mit ein, deren Herstellung bereits abgeschlossen wurde.
Hintergrund
Bis zum Jahr 2002 war es üblich, Druckgefäße mit Verweis auf deren nationale Zulassung für den Landverkehr auch auf See zu transportieren. Zu dieser Zeit war in Deutschland die Druckbehälterverordnung (DruckBehVO) die Grundlage der Zulassungen. Die Alleinstellung dieser Verordnung änderte sich mit den ersten Zulassungen für den internationalen Transport auf Basis von ADR/RID. Schrittweise wurden die EU-Mitgliedsstaaten zur Angleichung der nationalen Vorschriften zum Gefahrguttransport auf Straße und Schiene angehalten. Erste Meilensteine waren die Richtlinien 94/55/EG und 96/49/EG. Mit der Richtlinie 1999/36/EG über ortsbewegliche Druckgeräte (Transportable Pressure Equipment Directive – "alte TPED") wurden auch Aspekte der Neubewertung, wiederholten Verwendung und wiederkehrenden Prüfung aufgenommen. Schließlich wurde die DruckBehVO zum 1. Januar 2003 zurückgezogen.
Ende des letzten Jahrzehnts wurden in 1.8.6 und 1.8.7 ADR/RID wesentliche organisatorische Anforderungen formuliert. Von diesen Änderungen sind außer dem Aspekt der Marktüberwachung alle Punkte betroffen, die dem New Approach der Richtlinie 98/34/EG entliehen waren. Auf dieser Basis werden heute die Akkreditierer, Prüfstellen und Hersteller aktiv. Aus diesem Grund enthält die neue TPED (RL 2010/35/EU) keine eigenen technischen Anforderungen mehr. In Deutschland wird sie durch die Ortsbewegliche-Druckgeräte-Verordnung (ODV) umgesetzt.
Im Seeverkehr gab es in Bezug auf den Transport von Druckgefäßen im Zeitraum 2000-2003 entscheidende Änderungen. Das Kapitel 6.2 "Druckgefäße" des IMDG-Code wurde an das entsprechende Kapitel aus den UN-Modellvorschriften angeglichen. Die zwei Abschnitte 6.2.1 und 6.2.2 mit detaillierten Anforderungen an UN-Druckgefäße wurden neu in die Vorschriften eingeführt. Das Verständnis dafür, dass damit eine neue Qualität der separaten Zulassung von Druckgefäßen für den Seeverkehr gefordert wurde, brauchte einige Zeit. Die IMO hatte allerdings den Verweis auf die Landverkehrszulassung nicht ganz aus den Vorschriften entfernt. Er muss seitdem jedoch anders gelesen werden. Gemäß 6.2.3 des IMDG-Code gibt es nach wie vor die Möglichkeit, Baumuster ohne harmonisierte UN-Zulassung im Seeverkehr zu transportieren. Damit lässt man mit Blick auf die vorhandenen Druckgefäße und auf den technischen Fortschritt eine Alternative zu den weltweit harmonisierten Bauvorschriften (nach IMDG-Code 6.2.2) offen. Dies bedeutet, dass die zuständige Behörde ein Baumuster für den Seeverkehr anerkennen kann, wenn sie die Anwendung nationaler Vorschriften für den Bereich des IMDG-Codes für (sicherheitstechnisch) zulässig hält.
Wie oben beschrieben sind die Verfahren im Landverkehr innerhalb der EU länderübergreifend sehr detailliert geregelt. Im Bereich des IMDG-Code liegt dagegen mehr Gestaltungsspielraum bei den einzelnen Staaten – bei weltweiter Gültigkeit der Zulassung im Seeverkehr. Die in der Praxis für beide Verkehrswege angewandten Regelwerke sind ähnlich strukturiert. Daher haben die hier beschriebenen Verfahren ein dreistufiges Vorgehen gemeinsam: Baumusterzulassung als Voraussetzung der Fertigung, Überwachung der Fertigung/Herstellung gefolgt von der erstmaligen Prüfung.
Die Rolle der BAM
In Deutschland ist die BAM nach GGVSee die zuständige Behörde für Zulassungen nach IMDG-Code, sie kann damit Baumuster für den Seeverkehr zulassen. Dabei werden durch die BAM die Anforderungen aus ADR/RID 6.2.1 mit 6.2.3 und 6.2.4 oder eines national anerkannten technischen Regelwerkes nach 6.2.5 in Verbindung mit einer vorhandenen Zertifizierung nach der Richtlinie über ortsbewegliche Druckgeräte zugrunde gelegt.
Dies schließt das in der alten TPED wie auch das durch die neue TPED im ADR/RID verankerte Verfahren zur Fertigungsüberwachung/Qualitätssicherung durch sogenannte Benannte Stellen und die Ergebnisse der Überwachung der Fertigung mit ein. Sind auch die grundlegenden Anforderungen aus den Seeverkehrsvorschriften nachgewiesen, wird ein Baumuster auf Antrag zusätzlich für den Seeverkehr zugelassen.
Verwendungserweiterung geprüft
Der oben beschriebene Prozess ist aufgrund der Mitnutzung vorhandener Strukturen im Wesentlichen eine Erweiterung des zugelassenen Verwendungsbereichs (nachfolgend kurz als Verwendungserweiterung bezeichnet). Die Verwendungserweiterung bedingt jedoch die Anerkennung der relevanten Norm bzw. Regelwerks aus dem Landverkehr für den Seeverkehr. Hinzu kommt die inhaltliche Überprüfung der sicherheitstechnisch relevanten Prüfergebnisse aus der originären Baumusterprüfung. Auch die Unterschiede in den Verpackungsanweisungen zwischen Land- und Seeverkehr werden geprüft. Dies führt unter Umständen zu Verwendungsauflagen in der Seeverkehrszulassung. Es wird somit nicht nur systematisch die Richtigkeit der TPED-Zertifizierung, sondern die Erfüllung der Anforderungen an das Baumuster erneut bewertet.
Der Unterschied zwischen der Seeverkehrszulassung von Druckgefäßen im Bestand und denen aus laufender Fertigung besteht insbesondere in der Fertigungsüberwachung: Die einst stattgefundene Überwachung der Fertigung bzw. Einzelabnahme bei Bestandsdruckgefäßen kann zwar nicht mehr beeinflusst oder durchgeführt werden. Sie muss und kann aber durch Betriebserfahrung ersetzt werden. Dabei könnte die Verwendungserweiterung von älteren Druckgefäßen aufgrund der vorhandenen Erfahrung ggf. auch als weniger kritisch gesehen werden als die von Druckgefäßen aus laufender Fertigung. Sicherheitsdefizite werden bei letzteren unter Umständen erst im Betrieb erkannt.
Die Schwierigkeit in der Prüfung von Bestandsflaschen besteht nun aus zwei Punkten. Zum Einen kann mit der Anerkennung einer in ADR/RID 6.2.4 zitierten Norm für den Seeverkehr nur die zum Zeitpunkt der Antragsbearbeitung jeweils geltende Fassung angezogen werden. Zum Anderen ist festzustellen – wie bereits im Rahmen der Diskussionen zu Neubewertungen –, dass oft nicht mehr die Bauart-/Baumusterprüfunterlagen vorhanden sind. Während der erste Punkt durch Nachprüfungen meist zu beheben ist, ist der zweite Aspekt weitaus kritischer zu sehen. Auch er führt oft zu Nachprüfungen, die sich wirtschaftlich aber nur lohnen, wenn der Bestand an diesen Baumustern entsprechend groß ist.
Zusammenfassung
Aufgrund der wachsenden Internationalisierung des Flaschenparks stieg das Volumen im internationalen Gefahrguttransport in den letzten Jahren stark an. Gleichzeitig traten besonders im Mittelmeerraum Unwägbarkeiten im Landtransport durch politische Krisen auf. Das auf See gestiegene Transportvolumen und die verstärkte Beachtung der Rechtslage führte auch zu Fällen, bei denen deutlich wurde, dass ohne IMDG-Code-Zulassung kein Beförderungsanspruch ableitbar ist. Die zuständige Behörde – in Deutschland die BAM – bietet Lösungen mit erweitertem Nutzen an. Hier kann für Bestandsflaschen mit Landzulassung eine Verwendungserweiterung für den Seeverkehr beantragt werden.
(aus: gela 04/14, www.gefaehrliche-ladung.de)
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