Umblick – Herbe Umschlagverluste, immer größere Schiffe, gestiegene Sicherheitsanforderungen, Standortwettbewerb für den LNG-Import: die deutschen Seehäfen stehen derzeit vor vielen Herausforderungen.
Von Stefan Klein
Minus 9 Prozent beim Containerumschlag: die Jahresbilanz 2015 war für den Hamburger Hafen eine kleine Katastrophe, die umso schmerzlicher wurde, als die großen Konkurrenten an der Nordsee, Rotterdam und Antwerpen, keine nennenswerten Verluste zu beklagen hatten. Antwerpen verzeichnete sowohl beim Containerumschlag (plus sieben Prozent) als auch beim Gesamtumschlag (dank stark gestiegenen Mineralöl- und Chemieumschlags) neue Rekordzahlen.
Ungeachtet der jüngsten Negativentwicklung wird der Hamburger Hafen von immer mehr Großcontainerschiffen mit einer Stellplatzkapazität von mehr als 10.000 Standardcontainern (TEU) angelaufen: 2015 waren es bereits 647 (davon 150 Schiffe mit mehr als 14.000 TEU), 27 Prozent mehr als 2014 und zehnmal so viele wie 2009.
Dabei unterliegt gerade der Hafen Hamburg starken Zufahrtsbeschränkungen, die Megafrachter mit ihrem maximalen Tiefgang von 16 Metern können ihn bei weitem nicht voll beladen und nur unter Nutzung der Flut anlaufen. Der Ausbau der Fahrrinne der Elbe um einen Meter auf einen tideabhängigen Tiefgang von 14,50 Meter ist schon seit zehn Jahren im Planfeststellungsverfahren, die Verpflichtungen aus dem inzwischen hinzugekommenen europäischen Umweltrecht (EU-Wasserrahmenrichtlinie) in Verbindung mit Klagen von Umweltverbänden verzögern das Ausbaggern anhaltend. "Nach der Fahrrinnenanpassung um nur einen Meter könnte ein Großcontainerschiff einkommend und ausgehend immerhin 1.800 Container mehr befördern", sagt Ingo Egloff, Vorstand bei Hafen Hamburg Marketing (HHM).
Weiterhin mangelt es in Hamburg an Wendekreisen für die 400 Meter langen und 60 Meter breiten Riesenpötte beim Anlegen an den Terminals sowie an ausreichend langen Begegnungsstrecken im Verlauf der 100 Kilometer langen Unterelbe. Zwischen Hamburg und dem 50 Stromkilometer entfernten Glückstadt besteht aktuell ein Begegnungs- und Überholverbot für Schiffe, die nebeneinander mehr als 90 Meter breit sind.
Hamburg muss sich wie andere Häfen als Teil der maritimen Logistikkette darauf einstellen, dass die internationalen Reedereien davon getrieben sind, immer größere Schiffe zu ordern, um je transportierter Einheit Kosten zu sparen. "In Nordeuropa bestehen durch die Terminalaus- und -neubauten der vergangenen Jahre erhebliche Überkapazitäten in den Häfen, so dass sich die einzelnen Standorte in einem Substitutionswettbewerb befinden", sagt Jan Ninnemann von der Hamburg School of Business Administration. Werde von einem Hafen nicht in entsprechende Infra- und Suprastrukturen – auch für Großcontainerschiffe – investiert, droht die Abwanderung ganzer Liniendienste.
Vor diesem Hintergrund hat Hamburg im April mit sechs anderen Häfen in Fernost, den USA und Europa (darunter übrigens auch Antwerpen) das Netzwerk "Chainport" gegründet, dabei steht ein Erfahrungsaustausch über die Abfertigung von Großcontainerschiffen im Vordergrund. "Man muss nicht alles doppelt erfinden, um weltweit gleiche Standards für die effektive Be- und Entladung von Megaschiffen einzuführen", erklärt Jens Meier, Chef der Hamburg Port Authority (HPA) hierzu. Hinter den Kulissen denken manche Hafenmanager in Europa auch gemeinsam darüber nach, wie sie die Schiffsgrößenentwicklung begrenzen können. "Darüber sind wir mit anderen Häfen intensiv im Gespräch", heißt es bei der HPA.
Einer Kooperation mit deutschen Häfen im operativen Bereich steht man in Hamburg indes kritisch gegenüber. So kommen vor allem aus der Politik immer wieder Vorschläge, dass Hamburg – gerade bei Großcontainerschiffen – doch mit Deutschlands einzigem Tiefwasserhafen Wilhelmshaven zusammenarbeiten könnte, der, 2012 eröffnet, immer noch wenig genutzt wird, aber Schiffe mit einem Tiefgang von 16,50 Metern tideunabhängig abfertigen kann. Einer dirigistischen Einflussnahme auf die Ladungsströme stellt sich aber neben Hamburger Hafenvertretern auch der Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) entschieden entgegen: "Ganz abgesehen von kartell- oder wettbewerbsrechtlichen Gründen und der Tatsache, dass Umschlagsbetriebe heute privatwirtschaftliche Unternehmen sind, gilt in der Logistik der Grundsatz: Ladung sucht sich ihren Weg." Die Wahl des Ein- oder Ausfuhrhafens erfolge streng nach Effizienz- und Qualitätskriterien.
Hamburg hat zwar Schwächen in der seewärtigen Erreichbarkeit, verfügt aber über ein hohes lokales Ladungsaufkommen und leistungsfähige Anbindungen an wichtige Hinterlandmärkte in Süddeutschland, Mittel- und Osteuropa. Dies macht den Hafen gegenüber Wilhelmshaven für viele Carrier nach wie vor attraktiv. Dabei konnte man in Wilhelmshaven den Containerumschlag 2015 um erstaunliche 536 Prozent steigern. Der zuvor kaum angelaufene Hafen kam allerdings von einer sehr niedrigen Basis: auch im Aufschwungjahr 2015 schlug der Betreiber Eurogate hier gerade mal 426.000 TEU um – bei einer Jahreskapazität von 2,7 Millionen TEU ist der Containerhafen immer noch wenig ausgelastet.
Hamburg setzt auf Bahn
Und Hamburg baut seine Stärken weiterhin aus, etwa den An- und Abtransport der Container per Schiene. Die Eisenbahn löste bereits 2015 mit einem Anteil von 45 Prozent am Modal Split den Lkw (42 Prozent) als wichtigsten (Land-)Verkehrsträger ab. Mehr als 200 Güterzüge erreichen oder verlassen den Hafen pro Tag. Die HPA, die den Schienengüterverkehr im Hafengebiet über die stadteigene Hafenbahn regelt, ist angesichts dieser Masse um Automatisierung bemüht. So sollen künftig die Daten von Containern auf in den Hafen fahrenden Zügen automatisch durch Rail Data Gates ausgelesen werden, erfasst werden auch Gefahrgutdaten aufgrund der äußeren Kennzeichnung am Container.
Die Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) reagierte auf die stetig wachsende Zahl von Bahncontainern vor kurzem mit dem Ausbau des Bahnhofs am Container Terminal Altenwerder (CTA). Künftig wird der Bahnhof am CTA über neun statt der bisherigen sieben Gleise verfügen. Die Umschlagkapazität wächst mit dem Ausbau um 140.000 auf 930.000 TEU pro Jahr. Der CTA-Bahnhof ist mit einem Jahresumschlag von 769.000 TEU (2015) schon heute der umschlagstärkste Containerbahnhof in Deutschland.
Die Gesamtfläche des Bahnhofs am CTA bleibt mit der Erweiterung unverändert, denn der Einbau der zwei zusätzlichen Gleise erfolgt auf der gegebenen Fläche. Der Abstand zwischen den Gleisen verringert sich damit, so dass die Überprüfung der Containerdaten nicht mehr wie bisher durch Terminalmitarbeiter erfolgen muss, die mit einem Fahrzeug zwischen den Zügen entlang fahren. Das erledigt nun ein so genanntes Traingate im Zufahrtsbereich des Terminals automatisch. Der Ausbau des Bahnhofs bei laufendem Betrieb erfolgt in zwei Bauabschnitten und soll bis Oktober abgeschlossen sein.
Mit ähnlichen Problemen wie in Hamburg schlägt man sich in den Bremischen Häfen herum: zwar verzeichnete man hier im vergangenen Jahr "nur" ein Minus von vier Prozent beim Containerumschlag – in Hamburg war es doppelt so viel – doch auch hier verzögert sich die Fahrrinnenanpassung, in dem Fall der Außenweser, um ebenfalls einen Meter. Bemerkenswert ist, dass sich wie Hamburg auch Bremerhaven mit dem Titel "Europas führender Eisenbahnhafen" schmückt: hier bezieht man sich allerdings nicht auf die absolute Zahl per Bahn beförderter Container (Bremerhaven kommt mit zuletzt rund 1,1 Millionen TEU im Jahr nur auf knapp halb so viele Bahncontainer wie Hamburg), sondern auf den Anteil der Schiene am Modal Split (47 Prozent).
Security und Flüchtlinge
Ein Thema, das alle deutschen Seehäfen vermehrt umtreibt, ist Sicherheit im Sinne von Security. "Die Gefahr einer terroristischen Bedrohung ist zwar sehr abstrakt, aber natürlich gehen die Betriebe nach den jüngsten Anschlägen in Westeuropa ihre Sicherheitsvorkehrungen durch und lassen lieber einmal mehr eine Notfallübung ablaufen", so Klaus-Dieter Peters, Präsident des Zentralverbandes der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS). Zugleich stellte Peters klar, dass durch den 2004 eingeführten International Ship and Port Facility Security Code (ISPS-Code) schon umfangreiche Maßnahmen existieren, um die Gefahrenabwehr auf Schiffen und in Hafenanlagen zu verbessern.
Die Häfen könnten sich aber auch noch weitere Maßnahmen vorstellen. "Wir haben im Zuge der Entstehung des IT-Sicherheitsgesetzes angeregt, dass auch Häfen als kritische Infrastruktur gezählt werden, allerdings ist bisher dafür noch keine Rechtsverordnung erstellt worden, die klärt, welche Unternehmen zu kritischen Infrastrukturen zählen", so Peters. Denkbar ist, dass hier zum Beispiel Tankläger einbezogen werden.
Zum Themenkomplex Sicherheit zählt Peters auch, dass in den Häfen verstärkt darauf geachtet werden muss, Flüchtlinge daran zu hindern, sich auf Lkw zu verstecken, um so von einem Land in ein anderes zu kommen. Dies betreffe Standorte mit RoRo- und Fährverkehren wie etwa Cuxhaven, wo es in den letzten Monaten Dutzende solcher Fälle gegeben hat.
Aufbau einer LNG-Infrastruktur
Weil auf Nord- und Ostsee seit 2015 strenge Schwefelgrenzwerte gelten, muss die Schifffahrtsbranche hier entweder den im Vergleich zu Schweröl deutlich teureren Marinediesel bunkern oder ihre Flotten mit Abgasreinigungsanlagen nachrüsten. Eine weitere Alternative ist der Einsatz neuer, emissionsarmer Kraftstoffe wie Liquified Natural Gas (LNG). Doch um LNG nutzen zu können, muss in den Häfen zunächst eine Versorgungsinfrastruktur aufgebaut werden. Zum Aufbau von Bunkerstationen bis zum Jahr 2025 sind alle wichtigen europäischen Häfen auch durch die Richtlinie 2014/94/EU angehalten.
LNG-Betankungsmöglichkeiten in deutschen Häfen sind bislang kaum vorhanden, in Hamburg und Bremerhaven gibt es immerhin Pläne. Der Aufbau einer Versorgungsinfrastruktur rechnet sich eben erst, wenn es genügend Abnehmer gibt – das klassische Henne-Ei-Dilemma. Bisher existieren in der deutschen Flotte nämlich auch nur einige wenige LNG-Umrüstungsprojekte für Fährschiffe.
Insbesondere in den Niederlanden und Norwegen ist man in Sachen LNG bedeutend weiter. In Norwegen befüllen vier Bunkerstationen Seeschiffe mit LNG, zehn weitere Terminals sind entsprechend ausgelegt. Derzeit fahren dort mehr als 30 LNG-betriebene Schiffe, darunter Fähren, Chemietanker und Versorgungsschiffe für Öl-Plattformen.
In den Niederlanden – und inzwischen auch in Belgien – sind ortsfeste Bunkerstationen im Bau oder haben wie in Doesburg nahe der niederländisch-deutschen Grenze vor kurzem eröffnet. In den Benelux-Häfen ist man auch schon deshalb viel weiter als in Deutschland – und nicht mehr auf behelfsweise, mobile Betankungen aus Tankkraftwagen angewiesen –, weil sich hier die Binnenschifffahrt zu einem wichtigen Abnehmer entwickelt. Zurzeit werden ganze Flotten mit LNG-Antrieb gebaut, wie zum Beispiel die 15 Mineralöltankschiffe, die Plouvier Transport in den nächsten Jahren im Auftrag von Shell einsetzt.
Anders als in den Westhäfen, wo 2011 das Gate-Terminal Rotterdam den Betrieb aufnahm, hat Deutschland auch noch kein großes Importterminal für das in der Regel aus Übersee stammende LNG. Inzwischen gibt es außer in Brunsbüttel (Schleswig-Holstein) und Rostock (Mecklenburg-Vorpommern) auch in Wilhelmshaven – und damit im dritten deutschen Küstenbundesland – konkrete Pläne für ein LNG-Importterminal. Solche Pläne hatte es an dem Standort in den 70er Jahren sowie vor rund zehn Jahren bereits gegeben, sie wurden aber aus verschiedenen Gründen verworfen.
Für einen LNG-Terminal in Wilhelmshaven steht ein 84 Hektar großes Grundstück im Industriegebiet "Voslapper Groden" bereit. Die bereits 1972 gegründete Deutsche Flüssigerdgas Terminal Gesellschaft (DFTG) verfügt über die erforderlichen Teilerrichtungsgenehmigungen zum Bau der land- und seeseitigen Anlagen sowie über die Nutzungsrechte an der 1.300 Meter langen Transportbrücke in die Jade, in deren Verlängerung ein Schiffsanleger für LNG-Tanker mit bis zu 215.000 Kubikmetern Ladung errichtet werden könnte. Zudem sollen zwei LNG-Tanks mit je 160.000 Kubikmeter Kapazität gebaut werden. Die Gesamtkapazität des LNG-Terminals ist für 10 Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr ausgelegt.
Zudem stehen Kavernen für die Ein- und Zwischenlagerung zur Verfügung – auch im Rahmen einer möglichen Mindestbevorratung, wie es sie im Rohölbereich seit Langem gibt, so der Präsident der Wilhelmshavener Hafenwirtschafts-Vereinigung (WHV), John Niemann. Nach der sogenannten Regasifizierung, bei der das im Hafen angelandete Flüssigerdgas in einer Verdampfungsanlage wieder in den gasförmigen Zustand gebracht wird, lasse es sich in das Fernleitungsnetz einspeisen. Daneben könnten vor Ort aber auch Bunkerschiffe versorgt und Weitertransporte per Bahn und Tankwagen vorgenommen werden.
Das Projekt ist aufgrund seiner Größenordnung erheblich vom politischen Willen in Berlin bzw. der dortigen Bereitschaft, unabhängiger vom russischen Erdgas zu werden, abhängig. Um die Baukosten auf einen Bruchteil zu reduzieren, wird in Wilhelmshaven derzeit auch eine abgespeckte Version am NWO-Tanklager diskutiert. Bei dieser soll die Regasifizierung auf einem Spezialtanker erfolgen.
Überhaupt mangelt es in Deutschland bisher an einem ordnungspolitischen Gesamtkonzept für die Einführung von LNG als Schiffstreibstoff.
Grundsätzlich bestehen drei Möglichkeiten, Schiffe im Hafen mit LNG zu bebunkern: von einer ortsfesten Anlage aus, per Schiff (Bunkerboot) und per Tankfahrzeug. Für die Errichtung einer ortsfesten Anlage gilt das Bundesimmissionsschutzgesetz, zuvor ist eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen. In Abhängigkeit der Mengenschwellen für gefährliche Stoffe gilt für den Betriebsbereich einer ortsfesten Anlage die Störfallverordnung. Im Einzelfall kann eine Erlaubnispflicht nach der Betriebssicherheitsverordnung für das Befüllen von Schiffen hinzukommen.
Zur Befüllung eingesetzte Bunkerboote oder Tankwagen müssen für den LNG-Transport zugelassen sein, das gilt sinngemäß auch für das zu bebunkernde Schiff. Soweit die Vorgaben in den einschlägigen Bau- und Transportvorschriften eingehalten sind, stellt die Bebunkerung von Schiffen mit LNG kein besonderes Risiko dar. Zu diesem Ergebnis kam eine Machbarkeitsstudie zum Bunkern von Flüssiggasen in deutschen Häfen im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums. Dadurch, dass LNG auf –162 °C heruntergekühlt ist, ist es nicht brennbar, auch die Explosionsgefahr ist geringer als etwa bei Erdgas.
(aus: gela 06/16, www.gefaehrliche-ladung.de)
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