Unglück – Im nordchinesischen Hafen Tianjin ereignete sich einer der schwersten Gefahrgutunfälle der vergangenen Jahrzehnte. China verschärfte daraufhin die Vorschriften für den Gefahrgutimport und -export.
(skl) Wo bis zum Abend des 12. August noch wuseliges Treiben in einem der größten chinesischen Häfen herrschte, bietet sich seither eine Szenerie wie nach einem schweren Erdbeben oder eher noch nach einem großflächigen Bombenabwurf. In der Mitte klafft ein großer, schwarzer Krater – hier war das auf den Transport von gefährlichen Gütern spezialisierte Unternehmen Ruihai Logistics angesiedelt, in dem sich das Unglück ereignete.
Was war genau passiert? In der Lagerhalle von Ruihai mitten im "Tianjin Port Container Logistics Center" war gegen 23 Uhr Ortszeit ein Brand ausgebrochen. Als städtische Feuerwehrkräfte versuchten, auf dem Firmengelände mehrere in Flammen stehende Container mit Wasser zu löschen, kam es zu zwei kurz aufeinander folgenden Explosionen – so stark, dass diese sogar vom nationalen Erdbebenzentrum mit einer Stärke von 2,3 bzw. 2,9 auf der Momenten-Magnituden-Skala registriert wurden. Die erste Explosion habe laut Behörden die Kraft von drei Tonnen TNT gehabt, während die zweite, nachdem sich das Feuer schnell ausgeweitet hatte, sogar ein TNT-Äquivalent von 21 Tonnen erreichte.
Danach herrschte blankes Chaos. Augenzeugen berichteten von einem pilzförmigen Feuerball nach der zweiten Explosion, beißendem Qualm aus einer mehrere hundert Meter hohen Rauchwolke, blutverschmierten, flüchtenden Menschen, in weitem Umkreis geborstenen Fensterscheiben. Die Feuerwehr musste ihren ursprünglichen Einsatz lange unterbrechen, der Kontakt zu einem Teil der Einsatzkräfte an vorderster Front war abgebrochen. Später rückte sie mit einem Großaufgebot von mehr als 1.000 Mann und 150 Fahrzeugen an. Auch 200 für ABC-Einsätze geschulte Soldaten wurden in den Hafenteil Beijiang beordert. Chinas Ministerpräsident Xi Jinping wollte anfangs einen politischen Hintergund nicht ausschließen: ein paar hohe Militärs seien unzufrieden mit seiner Regierung und hätten das Unglück inszenieren können, so einige Medien. Tianjin gilt als Umschlagplatz für Waffen und Munition der chinesischen Armee.
Am 14. August, zwei Tage nach dem Unglück, erklärten die Behörden, das Feuer sei im Wesentlichen gelöscht. Doch noch am Tag darauf waren laut Nachrichtenagenturen kleinere Explosionen zu hören.
Schäden in Milliardenhöhe
Der Großbrand und die Explosionen richteten in einem Umkreis von gut einem Kilometer Totalschäden an benachbarten Logistikfirmen, Containerdepots und Pkw-Importplätzen an. Der Rückversicherungsspezialist Guy Carpenter?&?Company (USA) ging in einer auf Medienberichte, Satellitenbilder und Erfahrungswerte gestützten Analyse von folgenden Versicherungsschäden und Schadenssummen aus (ohne Berücksichtigung von Geschäftsunterbrechungen und noch andauernden Aufräum-/Reinigungsarbeiten):
Auch die großen Ratingagenturen veröffentlichten schon Tage später Gesamtschadensschätztungen in Milliardenhöhe.
Der Betrieb in den sechs Containerterminals des Hafens Tianjin lief erst zwei Wochen nach dem Unglück wieder weitgehend normal, obwohl diese von dem Unglück direkt nicht betroffen waren. Mit einem jährlichen Containerumschlag von 14,1 Millionen TEU (2014) ist der nahe der chinesischen Hauptstadt Peking gelegene Hafen schließlich der zehntgrößte Containerhafen der Welt.
Die Zahl der Todesopfer liegt laut chinesischen Behörden bei 173 (Stand Mitte September). Ein Großteil davon entfällt auf Feuerwehrleute, einige konnten nicht gefunden werden. Die Zahl der (oft schwer) Verletzten, die in den Krankenhäusern der 15-Millionen-Stadt behandelt wurden, lag offiziell bei 800. Tausende Anwohner waren während der Evakuierungsphase in Notunterkünften untergebracht.
Unfallursache und Gefahrgutverbot
Als Unglücksursache gilt, dies wurde schon Tage nach dem Unfall publik, dass die Logistikfirma Ruihai gleich einige Gefahrgüter in einem Gesamtvolumen von 3.000 Tonnen – entweder weit über den genehmigten Mengengrenzen oder gänzlich ohne Genehmigung – gelagert hatte. Diese hätten, nachdem der Brand ausgebrochen war, durch die Brandbekämpfung mit Wasser entweder hochentzündliche oder hochtoxische Gase gebildet. Zu den das Unglück auslösenden Gefahrgütern zählen:
Als wahrscheinlichste Explosionsursache gilt dabei die Bildung von Acetylen. Nach der Katastrophe wurden in Tianjin erhöhte Konzentrationen der Schadstoffe Ethylenoxid, Trichlormethan und Toluol gemessen. In Abwasserkanälen nahe der Unglücksstelle stellten die Behörden um bis zu 28-fach erhöhte Cyanidwerte gegenüber dem Grenzwert fest.
Wegen der massiven Verstöße gegen Genehmigungsauflagen und Sicherheitsbestimmungen sind elf führende Mitarbeiter von Ruihai Logistics inzwischen in Haft, darunter die beiden Chefs Yu Xuwei und Dong Shexuan. Dong soll laut Medienberichten gute Beziehungen zu Feuerwehr und Polizei gehabt haben, während Yu diese im Bereich Arbeitssicherheit/Umweltschutz hatte. So sollen sie sich die entsprechenden Papiere (u.a. Brandschutzinspektionen, positives Standortgutachten) für den Aufbau der erst 2013 gegründeten Firma gesichert haben. Wie sich herausstellte, fehlte Ruihai aber zwischen Oktober 2014 und Juni 2015 die behördliche Genehmigung, mit Gefahrgut zu arbeiten. Yu erklärte dazu, dass ihm dies nicht notwendig erschien, da auch seine anderen Firmen nicht immer entsprechende Lizenzen gehabt hätten. Da bei dem Unglück alle Firmenunterlagen vernichtet wurden, sollen die Aussagen der Manager sowie Papiere der Zollbehörden Aufschluss über die tatsächlichen Lagerbestände bei Ruihai Logistics vor der Katastrophe geben.
Der chinesische Staat ging nicht nur gegen Ruihai vor. Es kam landesweit zu Inspektionen in hafennahen Lager- und Umschlaghäusern. 80 von 275 Firmen, die regelmäßig mit Gefahrgütern umgehen, wurde danach der Betrieb untersagt. Schon Tage nach dem Unglück erließen die Behörden zudem Restriktionen für den Im- und Export von gefährlichen Gütern in 16 chinesischen Häfen. In acht Häfen ist der Gefahrgutumschlag vorübergehend komplett verboten. In den anderen Häfen wurden ganze Gefahrklassen mit einem Export- und Importverbot belegt.
(aus: gela 10/15, www.gefaehrliche-ladung.de)
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