Den Blick verwehrt

Kennzeichnung – Ein Gefahrgutunfall mit Feuereinwirkung zeigt, wie wichtig es für Einsatzkräfte ist, über das Ladegut Bescheid zu wissen. Die Gefahrenkommunikation muss ausreichend widerstandsfähig gegen Feuer sein.

Von Joachim Wolf

Am 26. April dieses Jahres hat sich auf dem südlichen Teil der BAB 10 in Höhe des Dreiecks Nuthetal ein folgenschwerer Unfall mit einem mit Gefahrgut beladenen 40 t-Lkw ereignet. Dieser Unfall macht deutlich, dass die in Kap. 5.3 ADR vorgeschriebene Kennzeichnung unter extremen Bedingungen nicht informativ bleibt.

Geplatzter Reifen als Auslöser

Der Unfall wurde vermutlich durch das Platzen eines Reifens an der Vorderachse des Lkw ausgelöst. Dies führte dazu, dass der Lkw von der Fahrbahn abkam, die Mittelleitplanke durchbrach und in den Gegenverkehr kippte. Der zum Betrieb des Fahrzeugs eingesetzte Kraftstoff lief aus und entzündete sich; das Fahrzeug fing unmittelbar Feuer. Das Fahrzeug und seine Ladung – u.a. 2,6 t verschiedene ätzende flüssige Stoffe (darunter UN 3264) – brannten vollständig aus. Die Asphaltdecke der Fahrbahn wurde derart beschädigt, dass anschließend ein 250 m langer Abschnitt abgefräst und erneuert werden musste. Erst am 28. April 2016 war es möglich, diesen Abschnitt der A 10 wieder uneingeschränkt für den Verkehr freizugeben.

Unfallbekämpfung

Aufgrund des Einsatzes von Löschwasser zur Brandbekämpfung bildeten sich giftige Dämpfe. Da der 34 Jahre alte polnische Fahrer des Gefahrgut-Lkw infolge Verletzung nicht ansprechbar war, die Ladungspapiere nicht zugänglich waren und die Kennzeichnung des Gefahrgutfahrzeugs nicht mehr sichtbar war, gingen die Einsatzkräfte zunächst ohne Atemschutz vor. Als Folge mussten vier Einsatzkräfte unmittelbar wegen Brechreiz, Übelkeit und Hautrötung in ein Krankenhaus gebracht werden. Insgesamt wurden 90 Einsatzkräfte in Kliniken vorsorglich untersucht.

Länger standhalten

Die Vorschriften im Gefahrgutrecht, also auch jene des ADR, sind in ihrer Konsequenz grundsätzlich darauf ausgerichtet, Gefahren, die sich unter normalen Beförderungsbedingungen ergeben können, zu verhindern. Davon abweichend wird in Abs. 5.3.2.2.1 für orangefarbene Tafeln bereits gefordert, dass sie „sich bei einer 15-minütigen Feuereinwirkung nicht von der Befestigung lösen“ dürfen. Die im gleichen Absatz an den Werkstoff der Tafeln gestellte Forderung, eine dauerhafte Kennzeichnung zu gewährleisten, bezieht sich wahrscheinlich auf Beanspruchungen während normal ablaufender Beförderungen. Die Forderung in Abs. 5.3.2.1.1, orangefarbene Tafeln „müssen deutlich sichtbar bleiben“ bezieht sich auf mögliche Beeinträchtigungen durch Ladung, Plane und andere zum Fahrzeug oder zur Ladung gehörige Teile.

Wie der geschilderte Unfall und die Auswirkungen vergleichbarer Unfälle deutlich machen, ist es zwar wichtig, dass sich die orangefarbenen Tafeln unter Einwirkung von Feuer nicht von der Befestigung lösen. Ebenso entscheidend muss sein, dass die in Abs. 5.3.2.1.2 vorgeschriebenen Angaben zum Ladegut unter diesen Bedingungen lesbar bleiben. Dies wird in Abs. 5.3.2.2.2 konkretisiert: „Die Nummer zur Kennzeichnung der Gefahr und die UN-Nummer müssen unauslöschbar und nach einer 15-minütigen Feuereinwirkung noch lesbar sein.

Es sollten weitere Unfälle ausgewertet und dabei geprüft werden, inwieweit eine Beständigkeit von 15 Minuten gegenüber Feuer der Zeit entspricht, die Einsatzkräfte nach ihrer Alarmierung – es handelt sich nicht immer um sofort einsatzbereite Berufsfeuerwehren – benötigen, bis sie am Ereignisort eintreffen. Angesichts der Tendenz häufig überfüllter Autobahnen und Straßen und der sehr zögerlichen Freigabe einer Spur im Staubereich für die Einsatzfahrzeuge sollten erhebliche Behinderungen der Einsatzkräfte bei einer möglichen Neufestlegung der Zeit – angemessen wären 30 Minuten – ebenso berücksichtigt werden.

Die in der Gemeinsamen Tagung RID/ADR/ADN laufenden Arbeiten an einer Telematik-Systemstruktur für den Gefahrguttransport zielen u.a. darauf ab, die Telematik dazu zu nutzen, die Einsatzkräfte im Ereignisfall situationsbezogen zu informieren. Auch hier ist die Funktionsfähigkeit der im Fahrzeug installierten Hardware unter Feuerbedingungen Voraussetzung für eine zuverlässige Datenübermittlung.

Im Vorgriff darauf hat das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) in seiner Bekanntmachung zum Einsatz elektronischer Beförderungsdokumente für die Beförderung gefährlicher Güter die einheitliche Anwendung diesbezüglicher Arbeitsverfahren in Deutschland mit Gültigkeit vom 1. Januar 2016 geregelt (VkBl. 2015 S. 450). Nach Abschn. 3 „Kennzeichnung der Fahrzeuge im Straßenverkehr bei der Verwendung eines elektronischen Beförderungsdokuments“ sind Fahrzeuge vorn und hinten nach dem Muster in diesem Abschnitt mit einem Piktogramm und der Angabe der individuellen Notrufnummer zu kennzeichnen. Danach dürfen sich bestimmte Ausführungen der in einer Entfernung von maximal 50 cm zur orangefarbenen Tafel anzubringenden Kennzeichnung nach 15-minütiger Feuereinwirkung nicht lösen. Auch diese Kennzeichnung und ihre Angaben sollten aus den o. g. Gründen einer 30-minütigen Feuereinwirkung widerstehen können.

In diesem Zusammenhang sollte die in Kap. 8.4 ADR geforderte Überwachung der Fahrzeuge umfassender geregelt werden und die Verpflichtung der für den Fahrzeugeinsatz tätigen Unternehmen enthalten, die z.B. über On-Board-Computer (OBC) eingehenden Informationen über Ereignisse während der Beförderung den lokalen Einsatzkräften unmittelbar zu übermitteln.

Sehen und erkennen ist wichtig

Notwendige Maßnahmen im Ereignisfall kurzfristig einzuleiten, steht und fällt mit dem ungehinderten Zugang zu den relevanten Daten über die gefährliche Ladung. Stehen Fahrpersonal und Ladungspapiere – die Schriftlichen Weisungen nach ADR eingeschlossen – nicht zur Verfügung, können lediglich Placards – hierzu enthält das ADR keine Anforderungen an ihre Feuerwiderstandsfähigkeit – und Kennzeichnungstafeln erste Informationen liefern. Dies setzt voraus, dass sie auch unter Feuerbedingungen zweifelsfrei erkennbar sind.

(aus: gela 06/16, www.gefaehrliche-ladung.de)

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