Jahr der Entscheidung

Markt – In der europäischen Chemielogistik tut sich ein bisschen was, während in China, begleitet von wirtschaftlichen Turbulenzen, das Jahr des Affen beginnt. Die Tankcontainerfimen setzen aber auf den asiatischen Markt.

Von Stefan Klein

Kurz vor Jahresende 2015 gab es in der europäischen Chemielogistik einen Paukenschlag, wie es ihn seit Jahren nicht gegeben hatte. Den Hartogh kündigte an, die Interbulk-Gruppe mit Hauptsitz in London für zirka 57 Millionen Euro übernehmen zu wollen. Das niederländische Transportunternehmen bot 0,09 Pfund pro Interbulk-Aktie, der Vorstand der Briten nahm an. Die Transaktion soll in diesem Quartal abgeschlossen werden.

Das auf Container-Bulktransporte spezialisierte Unternehmen war relativ günstig zu haben, denn sowohl Umsätze als auch operatives Ergebnis sind bei Interbulk in den vergangenen drei Jahren markant gesunken. Der Jahresüberschuss lag im letzten Geschäftsjahr bei ziemlich genau Null, nachdem es in den Jahren zuvor auch mal zweistellige Verluste gab. Interbulk erwirtschaftete im letzten Geschäftsjahr noch gut 300 Millionen Euro Umsatz, Den Hartogh kam zuletzt auf 220 Millionen Euro. Es schluckt also das kleinere das größere Unternehmen.

Mit zusammen über 500 Millionen Jahresumsatz steigt das fusionierte Unternehmen in die Top 3 der Chemielogistiker mit Hauptsitz in Europa auf. Es spielt künftig in einer Liga mit Bertschi (600 Millionen Euro Umsatz in 2015); weit vorn liegen aber Imperial, Stolt-Nielsen und Hoyer mit jeweils mehr als einer Milliarde Jahresumsatz. Hoyer hält übrigens eine Beteiligung von 15 Prozent an Interbulk und ist damit nach der chinesischen Sinotrans (35 Prozent) größter Anteilseigner. Unklar ist, ob die Hamburger ihr 2010 erworbenes Aktienpaket versilbern und an Den Hartogh verkaufen.

Hoyer baut Terminal aus

Was jedenfalls feststeht: Hoyer will sein Containerterminal in Dormagen erweitern. Das neue Terminal soll im Januar 2017 fertiggestellt sein, die Lagerkapazität auf 624 Tankcontainer wachsen. Die entsprechenden Genehmigungsunterlagen wurden bei der zuständigen Bezirksregierung Köln eingereicht, in Kürze ist die öffentliche Auslegung des Antrags nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz zu erwarten. Das vergrößerte Containerterminal werde laut Ulrich Grätz, Director Supply Chain Solutions bei Hoyer, für die Ver- und Entsorgung der Produktionsbetriebe im Chempark Dormagen benötigt. "Selbstverständlich wird das neue Terminal den höchsten Sicherheitsstandards entsprechen." Es werde u. a. über Leckageauffangräume, eine Brandmelde- und Löschanlage verfügen. Die zu lagernden Gefahrstoffklassen bleiben unverändert. Die geplante Erweiterung führt zu kaum einer zusätzlichen Verkehrsbelastung an den Eingangstoren des Chempark, da überwiegend innerwerkliche Transporte durchgeführt werden.

Kube & Kubenz zieht um

Ende Februar zog die Niederlassung des Gefahrgutspezialisten Kube & Kubenz aus dem Chemiepark Knapsack in Hürth bei Köln auf ein neues, eigenes Gelände im wenige Kilometer entfernten Bergheim. Die Niederlassung mit über 30 Mitarbeitern deckt auch auf dem neuen Gelände mit den Bereichen Technik, Vertrieb, Disposition international sowie lokales Trucking ein breites Portfolio an Dienstleistungen ab. Kube & Kubenz erwarb das 1,8 Hektar große Grundstück mit Bürogebäuden, einer Werkstatt und einem Containerdepot Ende 2015. Das Depot für Box- und Tankcontainer bietet in der ersten Ausbaustufe Platz für 250 Standardcontainer (TEU). In einer zweiten Ausbaustufe soll es auf eine Kapazität von 400 TEU erweitert werden. Die Werkstatt bietet die Möglichkeit zur Reparatur an Box- und Tankcontainern sowie Tankaufliegern und wird von der Firma Hendricks betrieben. Das Geschäft in Köln hat sich in den vergangenen Jahren gut entwickelt. "Der Kapazitätsausbau wird es uns auch künftig ermöglichen, unseren Kunden flexible Logistiklösungen für ihre flüssigen und gasförmigen Produkte zu bieten", so Geschäftsführer Michael Kubenz.

Bertschi wächst in Fernost

Der Schweizer Chemielogistiker Bertschi wuchs im vergangenen Jahr stark, vor allem im globalen Geschäft. Die weltweit eingesetzte Tankcontainerflotte wurde um 30 Prozent auf 7.200 Einheiten aufgestockt. "Die größte Dynamik ergab sich in Asien, insbesondere in China", so Hans-Jörg Bertschi, CEO der Bertschi Holding AG. Die Geschäftsentwicklung in Fernost habe die in Europa inzwischen überholt. 2016 sei hier nochmals ein erhebliches Wachstum geplant, wenn auch unter unsicheren Vorzeichen.

Da passt es in Bild, dass Bertschi Ende Januar ein neues Logistikcenter in Singapur eröffnete, in strategisch optimaler Lage von Südostasiens größtem Chemiecluster Jurong Island. "Wie unsere Investition von insgesamt 30 Millionen Euro zeigt, beschränkt sich der veränderte Fokus der Chemie hin zu Spezialchemikalien nicht nur auf Europa – auch Asien geht zunehmend in diese Richtung", sagte Hans-Jörg Bertschi. Obwohl Jurong Island bekannter für seine Raffinerien und petrochemischen Anlagen sei, haben sich hier in den letzten Jahren immer mehr Unternehmen der Spezialchemie angesiedelt, die spezielles Logistik-Knowhow verlangen.

Das neue Jurong Island Chemical Cluster (JICC), erbaut auf einer Fläche von 30.000 Qua­dratmetern, offeriert als Hauptdienstleistungen das Umschlagen und Lagern von palettisierter Ware sowie von Tankcontainern; hinzu kommen Fassabfüllung, das Mischen und Umpacken von Chemieprodukten sowie der Transport und das Beheizen von Tankcontainern. Die Prozesse sind halbautomatisch ausgelegt, es gibt Sicherheitseinrichtungen wie Brandwände, Auffangbecken für Chemikalien sowie ferngesteuerte Schaumsprinkleranlagen. Der neue Standort stellt zudem sicher, dass lokal produzierte gefährliche Chemikalien auf Jurong Island bleiben und so unnötige Gefahrguttransporte innerhalb des Stadtstaates vermieden werden können.

Anstatt das Produkt in einem fixen Lagertank innerbetrieblich zwischenzulagern, können die umliegenden Hersteller das Produkt direkt aus der Anlage in einen Tankcontainer abfüllen und diesen im JICC lagern. "Mit diesem Vorgehen reduziert der Hersteller den Investi­tionsaufwand für eine neue Spezialchemie-Produktionsanlage typischerweise um 10 bis 15 Prozent", so Bertschi. Das gleiche Prinzip gelte für Import- und Exportströme aus Übersee, die ohne Umschlag und Zwischenlagerung im Hafen-Tanklager direkt in Tankcontainern ins Bertschi-Depot kommen. "Der Tankcontainer ist das neue Lagermedium für Spezialchemie-Produkte und deren Ausgangsstoffe." Und ein flexibles Transportmittel, sowohl in Bezug auf den genutzten Verkehrsträger als auch auf die Produktspanne, ist er ohnehin: Bertschi fuhr im vergangenen September sogar erstmals einen Ganzzug mit Tankcontainern von China nach Deutschland.

ITCO registriert enormen Boom

Eine der treibenden Kräfte für die Verbreitung des Tankcontainers ist neben der Globalisierung der Chemischen Industrie und deren Fokus auf effiziente Investitionen der Paradigmenwechsel in der Containerschifffahrt. In den letzten Jahren haben die Reedereien die Kapazitäten ihrer Containerschiffe von 8.000 auf 20.000 TEU pro Schiff erhöht und führten die Strategie des Slow Steaming ein, was zusammen eine signifikante Kostensenkung zur Folge hatte. Deshalb kann der Transport von Spezialchemie-Produkten und deren Rohstoffen inzwischen kosteneffizienter mit Containerschiffen und Tankcontainern von Tür zu Tür abgewickelt werden als mit Chemietankschiffen und festen Lagertanks.

Ein weiterer, wesentlicher Treiber für die gewachsene Bedeutung von Tankcontainern waren die nach der Finanzkrise scheinbar im Überfluss vorhandenen Investitionsmittel, die nach Anlagemöglichkeiten suchten und insbesondere die Leasinggesellschaften in ihren Wachstumsambitionen unterstützten, so Heike Clausen, Präsidentin der International Tank Container Organisation (ITCO). Seitdem die ITCO, beginnend 2013, jährlich einen Report über die globale Tankcontainerflotte erstellt, lässt sich Jahr für Jahr ein Flottenwachstum von zehn Prozent feststellen. Der Boom wirft allerdings erste Schatten. "Wir haben inzwischen Überkapazitäten, die zu einem deutlichen Preisverfall bei Neubaupreisen und als Konsequenz auch bei den täglichen Mietraten führten", so Clausen. Befeuert werde die Situation durch das Abflauen des Marktes in China, den sanktionsbedingten Einbruch des Warenaustausches mit Russland oder die dem niedrigen Ölpreis geschuldeten Probleme in Brasilien und anderen Erdöl exportierenden Ländern.

Auch wenn die Situation sicherlich noch nicht so desaströs ist wie in der Containerschifffahrt, muss sich die Tankcontainerbranche etwas einfallen lassen. "Grundsätzlich gibt es immer noch unzählige Güterströme, die im Sinne von Nachhaltigkeit und vor allem Transportsicherheit geeignet wären, die verfügbaren Kapazitäten auszulasten", so Clausen. Hier stellen die aufgrund vermeintlicher Kosten­ersparnisse verwendeten Flexitanks ebenso ein Potenzial dar wie Fassware, die in Boxcontainern verladen wird. Beide Transportarten könnten laut Clausen auf den Prüfstand kommen, wenn mit Wirkung vom 1. Juli dieses Jahres die Verpflichtung zur genauen Verwiegung der Container vor dem Seetransport weltweit eingeführt wird, um Schiffsunfälle, die durch fehlerhafte oder ungenaue Deklarierung der Gewichte entstehen, zu vermeiden.

ATCO schätzt Neubautätigkeit

"Wir müssen eine noch höhere Nachfrage nach Tankcontai­nertransporten schaffen", sagt auch Reginald Lee. Er hatte vor fünf Jahren die Asia Tank Container Organisation (ATCO) gegründet, um das Transportmittel in der Weltregion zu promoten, die schon damals das höchste Wachstumspotenzial versprach. Laut Lee rühren die Überkapazitäten bei Leasinggesellschaften und Operatorn auch daher, dass die Tankcontainerhersteller ihr Produkt im Jahr 2015 billigst anboten, um ihrerseits die Produktionskapazitäten auszulasten. Nach einer Schätzung wurden im vergangenen Jahr rund 43.000 neue Einheiten hergestellt, davon 3.000 in Europa, 6.000 in Südafrika und 34.000 von (nur) fünf chinesischen Unternehmen. Hinzu kommen 3.200 Tanks, die wiederaufgearbeitet wurden.

Die Tankcontainerbranche hat sich also 2015 mit fast 50.000 neuen Transporteinheiten eingedeckt, zum Teil zu Tiefstpreisen von 16.000 US-Dollar. Dafür müssen nun viele Anbieter mit einem Nutzungs- bzw. Vermietungsgrad von oftmals nur 70 Prozent klarkommen.

Während es gegenwärtig zu viele Tankcontainer auf dem Markt gibt, sind gerade in Asien Depots mit qualitativ guten Tankreinigungs- und -reparaturmöglichkeiten Mangelware. Die ATCO hat in Gesamt-Fernost bis heute erst 20 Tankcontainer­depots nach dem hauseigenen Standard auditiert, neun davon in China. Zudem existieren weitere infrastrukturelle Probleme wie der schlechte Zustand der Straßen zu den oft im Hinterland angesiedelten chinesischen Chemieunternehmen oder die Transportrestriktionen für Gefahrgutcontainer per Eisenbahn.

China ist nach den jüngsten Einbrüchen beim Wirtschaftswachstum (das aber immer noch positiv ist) nicht mehr das Zugpferd der Weltwirtschaft. Doch für die Tankcontainerbranche gibt es in Asien inzwischen längst auch andere Regionen mit Wachstumspotenzial. Dazu zählen die ASEAN-Staaten Südostasiens, Indien und die Staaten am Persischen Golf. Im Mittleren Osten sind in den letzten Jahren nahe den großen Öl-Förderstätten und -Häfen große (Petro-)Chemieproduktionen entstanden. Der Bedarf für Tankcontainertransporte nach Fernost und Europa wird hier vermutlich weiter wachsen. Es gibt allerdings kaum etwas, was sich im Tankcontainer an den Golf befördern ließe: Mit der Unpaarigkeit der Güterströme nehmen die Leercontainertransporte und auch die Zahl der benötigten Tanks zu.

(aus: gela 03/16, www.gefaehrliche-ladung.de)

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